Die NS-Prozesse in der Bundesrepublik waren ein Forum, in dem bereits in der frühen Nachkriegszeit die Verbrechen des Nationalsozialismus verhandelt wurden. Dabei hatten die Holocaust-Überlebenden und ehemaligen KZ-Häftlinge als Zeugen eine besonders kontroverse Aufgabe, die von der Forschung jedoch bislang kaum beachtet wurde. Vielfach lag es allein an ihnen, mit ihren Berichten die Angeklagten zu überführen. Zugleich waren sie teils massivem Misstrauen der deutschen Justiz ausgesetzt, die die Überlebenden für zu parteiisch hielt, um objektive Einschätzungen abzugeben. Die Befragungen und die Konfrontation mit den Tätern stellten zudem eine hohe Belastung dar. Dennoch sagten Tausende Überlebende aus freien Stücken aus und nahmen die Strapazen auf sich, um die strafrechtliche Verfolgung der Verbrechen voranzubringen.
Katharina Stengel untersucht am Beispiel von vier Auschwitz-Prozessen aus drei Jahrzehnten, welche Bedeutung die Opfer für die NS-Prozesse hatten, wie die Juristen mit ihnen und ihren unfassbaren Berichten umgingen, wie die Zeuginnen und Zeugen selbst vor Gericht agierten, welche Anliegen sie verfolgten und welche Schlüsse sie aus ihren Erfahrungen zogen. Dabei werden unterschiedliche theoretische Konzeptionen von Zeugenschaft mit den Selbstauskünften der Überlebenden in Bezug gesetzt und diskutiert.
Katharina Stengel: Die Überlebenden vor Gericht.
Auschwitz-Häftlinge als Zeugen in NS-Prozessen (1950–1976)
Schriften des Dubnow-Instituts, Band 34
548 S., 23 Abb, gebunden im Schutzumschlag, € 70,–
Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2022
ISBN: 978-3-525-31740-2
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Dr. Katharina Stengel
ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Fritz Bauer Institut. Seit 2021 arbeitet sie an dem von der Alfred Landecker Stiftung finanzierten Forschungsprojekt »Störfaktor des Wiederaufbaus. Die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes«. Von 2016 bis 2019 war sie wissenschaftliche Mitarbeiterin am Leibniz-Institut für jüdische Geschichte und Kultur – Simon Dubnow, Leipzig, in dem in Kooperation mit dem Fritz Bauer Institut durchgeführten und von der Deutschen Forschungsgemeinschaft finanzierten Forschungsprojekt »Opferzeugen in Auschwitz-Prozessen 1950–1980. Auschwitz-Überlebende als Zeugen vor Gericht«, Teilprojekt des Forschungsprojekts »Opferzeugen in NS-Prozessen. Eine Analyse ihrer wechselhaften Rolle in sechzig Jahren Bundesrepublik«.
Ausgewählte Veröffentlichungen:
› Hermann Langbein. Ein Auschwitz-Überlebender in den erinnerungspolitischen Konflikten der Nachkriegszeit, Frankfurt am Main, New York: Campus Verlag, 2012.
› mit Bettina Leder und Christoph Schneider, Ausgeplündert und verwaltet. Geschichten vom legalisierten Raub an Juden in Hessen, Berlin: Hentrich und Hentrich, 2018.