Für die juristische Aufarbeitung der NS-Verbrechen hat Jan Sehn in Polen ähnlich hohe Bedeutung wie Fritz Bauer in der Bundesrepublik Deutschland. Er war kein KZ-Häftling, kein Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung, sondern hatte während des Krieges eine bescheidene Stellung in einem Gastwirteverband inne. Und doch war der deutschstämmige Sehn nach 1945 eine treibende Kraft für die juristische Ahndung der deutschen Verbrechen in Polen. Als Vorsitzender der Bezirkskommission zur Untersuchung deutscher Verbrechen in Krakau verhörte er zahlreiche an Polen ausgelieferte Nationalsozialisten, darunter Amon Göth, Rudolf Höß und Maria Mandl. Auf unkonventionelle Weise trug er belastendes Material zusammen, suchte Zeugen, die die Konzentrationslager überlebt hatten und verhandelte mit kommunistischen Behörden der Volksrepublik Polen, US-amerikanischen Militärs und Staatsanwälten aus der Bundesrepublik Deutschland. Beim Frankfurter Auschwitz-Prozess spielte Sehn eine wichtige Rolle, da auf seine Vermittlung hin die Ortsbesichtigung in Auschwitz stattfinden und eine Gerichtsdelegation an den Tatort der Verbrechen reisen konnte – erstaunlich im politischen Klima des Kalten Krieges.
geb. 1981, lebt mit seiner Familie in Warschau. Er ist Mitarbeiter am Institut für Nationales Gedenken (IPN) in Warschau. Der studierte Journalist arbeitete lange im Ressort Ausland der Zeitschrift Newsweek Polska, bevor er sich als Wissenschaftler einen Namen machte. 2019 forschte Gańczak als Gastwissenschaftler und DAAD-Stipendiat am Fritz Bauer Institut. Seine 2022 erschienene Jan-Sehn-Biografie wurde unter anderem mit dem Internationalen Witold-Pilecki-Preis gewürdigt.
Studien zur Geschichte und Wirkung des Holocaust, Band 7,
hrsg. von Sybille Steinbacher im Auftrag des Fritz Bauer Instituts, Übersetzung aus dem Polnischen von Lothar Quinkenstein
Göttingen: Wallstein Verlag, 2022,
238 S., 14 Abb., Hardcover gebunden, mit Schutzumschlag
ISBN 978-3-8353-5321-3
Preis: 26 Euro