Das Institut

Dienstag, 7. November 2023

Jüdischer Widerstand im Holocaust.
Selbstbehauptung, Gegenwehr und Rache

Studienfahrt nach Warschau, Białystok und Treblinka, Juli 2023

Von Inga Steinhauser und Leonie Wüst
 

Im Jahr 2023 jährten sich der Aufstand im Warschauer Ghetto und die Häftlingsaufstände in den Mordlagern Treblinka und Sobibor zum 80. Mal. Damit rückt das Thema jüdischer Widerstand, das sonst wenig beachtet wird, stärker in das öffentliche Bewusstsein. So beschäftigte sich im Sommersemester 2023 auch ein von PD Dr. Tobias Freimüller geleitetes Seminar an der Goethe-Universität Frankfurt mit den verschiedenen Formen, Konzeptionen und Dimensionen jüdischer Selbstbehauptung, Gegenwehr und Rache. Nach Ende der Vorlesungszeit reiste die Seminargruppe nach Warschau, Białystok und Treblinka. Die Exkursion war organisiert von Dr. Andreas Kahrs, Geschäftsführer der Agentur »What matters!«, und seiner Kollegin Nora Zirkelbach. Finanziell unterstützt wurde die Reise, wie schon frühere Exkursionen des Fritz Bauer Instituts mit Studierenden, von der Firma Evonik. Markus Langer, Geschäftsführer der Evonik Stiftung, begleitete die Exkursion. Auf der fünftägigen Studienfahrt (13. bis 19. Juli 2023) setzte sich die Gruppe intensiv mit den jüdischen Widerstandsaktionen in Polen auseinander und befasste sich dabei auch mit dem jüdischen Leben im Polen der Vor- und Nachkriegszeit.

Warschau

Im Mittelpunkt der Reise stand zuerst die Geschichte des Widerstands im Warschauer Ghetto. Unter den Begriff Widerstand lässt sich nicht nur der bewaffnete Kampf, sondern auch die Dokumentation der Verbrechen fassen. Dies verdeutlicht auch die Ausstellung »What we’ve been unable to shout out to the world« im Jüdischen Historischen Institut Warschau. In dem Gebäude, das am Ende des Krieges Sitz der Jüdischen Historischen Kommission war, wird heute das Untergrundarchiv der Organisation Oneg Shabbat, hebräisch für Freude am Sabbat, gezeigt. Die Gruppe um den Historiker Emanuel Ringelblum dokumentierte den Alltag im Ghetto und später die Deportationen und Ermordungen systematisch. Den Prinzipien Allseitigkeit und Objektivität folgend sammelte sie Chroniken, Aufsätze, Tagebucheinträge, Statistiken, Pläne und kleine Alltagsgegenstände. Diese sind heute, mit einem Fokus auf den Dokumenten zum Holocaust in Polen, in der Ausstellung zu sehen. Ein besonderes Exponat ist eine Milchkanne, in der ein Teil des Archivs angesichts der drohenden »Liquidierung« des Ghettos vergraben und so überliefert wurde. Sie ist, inzwischen rostig und brüchig, so als sei sie tief unter der Erde zwischen zwei steinernen Wänden vergraben, mitten im Ausstellungsraum platziert.

Das alte Gebäude des Jüdischen Historischen Instituts spiegelt sich heute im blauen Glas eines modernen Bürokomplexes. An seiner Stelle befand sich bis 1943 die Große Synagoge. Wie nahezu das gesamte Ghetto wurde sie bei der Niederschlagung des Ghettoaufstandes zerstört: verbrannt, zertrümmert und eingeebnet. Heute dominieren Gebäude aus den 1950er und 1960er Jahren das Stadtbild. Selbst die alten Straßen existieren nur noch dem Namen nach und verlaufen anders als damals. Die Topographie des ehemaligen Ghettos ist kaum noch zu erkennen. Anita Borkowska, die als Guide für das POLIN Museum arbeitet, führte die Gruppe bei einem Rundgang durch den Nordwesten Warschaus an die ehemals zentralen Orte des Ghettos.

Manche der früheren Orte sind gänzlich überbaut und verschwunden. Der Vergleich mit alten Originalaufnahmen erzeugt keinen Wiedererkennungseffekt. An der Stelle des ehemaligen Gerichts, einem der wichtigsten Korridore des Schmuggels von Lebensmitteln, Waffen und Gütern in das Ghetto, befindet sich heute ein ruhiger Innenhof, anstelle der früher angrenzenden Białastraße steht nun ein neuer Häuserblock. Andernorts erinnern freie Flächen, Tafeln und Denkmäler an das Ghetto. So verweist eine gläserne Aussparung im Boden auf einen der Fundorte des Ringelblum-Archivs, ein Grashügel auf den Kommandobunker an der Miłastraße 18 und eine stilisierte Brücke an den Übergang, der die beiden Ghettoteile zwischenzeitlich verband. Schriftzüge am Boden markieren an 22 Stellen die Grenzen des Ghettos in seiner größten Ausdehnung. Am ehemaligen Umschlagplatz und vor dem POLIN Museum stehen mehrere monumentale Denkmäler: darunter das Denkmal für die Helden des Warschauer Ghettos, vor dem Bundeskanzler Willy Brandt 1970 auf die Knie fiel.

Die Orte, die an die Ghettogeschichte erinnern, sind verstreut und zwischen den Häusern leicht zu übersehen. Die Dimension des ehemaligen Ghettos ist durch die dichte Bebauung der Straßen kaum zu überblicken. Unmittelbar verdeutlicht nur noch der jüdische Friedhof an der Okopowastraße die Fülle des jüdischen Lebens in Warschau. Er ist mit 33 Hektar Fläche, über 200.000 Grabstätten und einer Vielzahl an Gedenksteinen einer der größten jüdischen Friedhöfe Europas. In der Ghettozeit diente der Friedhof als Versteck und als Ort des Schmuggels, aber auch als Massengrab der vielen Toten. Berühmte Persönlichkeiten wie Adam Czerniaków, der Vorsitzende des Warschauer Judenrats, und Marek Edelman, einer der Kommandeure des Ghettoaufstandes, der diesen überlebte und erst 2009 verstarb, sind hier beerdigt.

Das Museum der Geschichte der Polnischen Juden, kurz POLIN, liegt direkt neben dem Denkmal der Helden des Warschauer Ghettos. Eröffnet wurde es am 19. April 2013 mit einem Festakt zum 70. Jahrestag des Ghettoaufstandes. Entworfen hat das Gebäude das finnische Architektenteam Lahdelma & Mahlamäki. Sein Grundriss ist quadratisch, das innere Gebäudedesign wellenförmig angelegt. Die gläsernen Außenwände werden durch einen Spalt aufgetrennt, der für den Weg der Jüdinnen und Juden durch das Rote Meer und den Blick in die Zukunft stehen soll. Das hebräische Wort für Polen wird Polin ausgesprochen. Es teilt sich in die Wörter po (»Hier«) lin (»[du solltest] wohnen«) und geht zurück auf eine Legende von der Ankunft der ersten Jüdinnen und Juden in Polen. Diesem Namensursprung des Museums und der Legendenerzählung ist die erste von acht Galerien im Haus gewidmet. Das jüdische Leben in Polen und seine Verflechtung mit der polnischen Geschichte werden chronologisch nachgezeichnet: Von den ersten Spuren im Mittelalter bis heute. In der Galerie »Miasteczko« (das Stetl, Städtchen) ist eines der bedeutendsten Ausstellungsstücke zu sehen: Das rekonstruierte Gewölbe einer hölzernen Synagoge aus Gwoździec. Im Anschluss führen im Museumsraum nachgebildete jüdische Straßen der Vorkriegszeit die Besucherinnen und Besucher in das Warschauer Ghetto und im Anschluss in die Nachkriegszeit. Die aktuelle Sonderausstellung »Around us a sea of fire« thematisiert den Warschauer Ghettoaufstand und inszeniert die Bunker und Straßenkämpfe auditiv und szenisch.

Nachdem unsere Seminargruppe eine eingehende Führung durch die acht Galerien erhalten hatte, kamen wir gemeinsam mit Anita Borkowska für eine Nachbesprechung der Ausstellung und ihrer Gestaltung zusammen. Diskussionen und Gespräche drehten sich um das ambivalente polnisch-jüdische Verhältnis und die grundlegende konzeptionelle Entscheidung des Museums, die jüdische Geschichte als polnische Geschichte zu zeigen. Voller Eindrücke aus dem Museum wurde der Themenblock zum jüdischen Widerstand in Warschau beschlossen, am Abend des zweiten Exkursionstages reisten wir weiter nach Białystok.
 

Białystok

Die Provinzhauptstadt Białystok liegt im Osten Polens zwischen Warschau und Vilnius. Andreas Kahrs führte die Gruppe an einem sonnig-warmen Tag durch die Stadt und brachte uns Białystoks jüdische Geschichte, die Geschichte des Ghettos und des Ghettoaufstandes näher. Białystok hatte vor dem Zweiten Weltkrieg eine große und vielfältige jüdische Gemeinde, die mehr als die Hälfte der Stadtbevölkerung ausmachte. Es gab jüdische Zeitungen, Schulen und Sozialhilfeorganisationen. Jüdinnen und Juden führten Läden am Marktplatz, leiteten drei Viertel der Białystoker Textilfirmen und arbeiteten in den Webereien im Industriegebiet.

Nach der Besatzung der Stadt durch die deutschen Truppen trieben Polizeiverbände am 27. Juni 1941 etwa 700 bis 800 jüdische Männer in der Synagoge zusammen und zündeten diese an. Insgesamt starben bei den Mordaktionen der ersten Tage bis zu 2.500 Menschen. Ein gesamtes jüdisches Viertel wurde zerstört, abgetragen und lag bis zum Ende der Besatzungszeit brach. Die 50.000 Jüdinnen und Juden mussten nun im Ghetto in einem anderen Teil der Stadt leben. Das Ghetto wurde zu einem Zentrum der Zwangsarbeit mit zehn Fabriken und zahlreichen Werkstätten. Dies prägte den Ghettoalltag, Viele sahen in der Arbeit einen Weg, sich vor der Deportation zu retten, und entschieden sich deshalb gegen den aktiven Widerstand. Im August 1943 wurde das Ghetto aufgelöst. Bewaffnete Widerstandsgruppen verteidigten sich fünf Tage lang. Drei überlebende Kämpferinnen berichten in Ingrid Strobls Dokumentarfilm MIR ZEYNEN DO, den die Seminargruppe abends ansah, eindrucksvoll von ihren Erfahrungen.

Seit dem Zweiten Weltkrieg gibt es in Białystok keine jüdische Gemeinde mehr. Kaum etwas erinnert noch an die jüdische Stadtgeschichte. In den damals zerstörten jüdischen Vierteln finden sich heute Nachkriegsbauten. Nur hier und da stehen noch die alten Holzhäuser. Dazwischen bilden freigebliebene Grundstücke große Lücken. In der unmittelbaren Nachkriegszeit hatten Überlebende an der zerstörten Synagoge und auf dem Ghettofriedhof Denkmäler errichtet. Besonders der verbogene Stahlträger der Synagogenkuppel wurde zum Symbol. Nachdem die letzten Überlebenden Białystok im Zuge der antisemitischen Kampagne der späten 1960er Jahre verlassen hatten, verschwand die Kuppel. Der Friedhof wurde zum Park und die Grab- und Gedenksteine wurden entwendet.

Inzwischen ist zumindest ein Gedenkstein, ein schwarzer Obelisk, wiedererrichtet und die Kuppel nachgebildet. Auf dem Friedhof und an der Synagoge finden heute offizielle Gedenkakte mit hochrangigen Gästen aus Polen und Israel statt. In der Stadt wurde viele Male diskutiert, ein Museum zur jüdischen Geschichte einzurichten. Bislang mangelte es an Konzepten und Institutionen, die ein solches Vorhaben umsetzen können. Kürzlich wurde in der erhaltenen kleinen Synagoge eine Kunstgalerie eröffnet und damit ein Ort geschaffen, der die Vergangenheit thematisiert. Der Galerieleiter lud die Gruppe spontan auf ein Glas Wasser ein und präsentierte einige Fundstücke und Exponate: Darunter eine Thora aus der großen Synagoge. Die Schriftrolle wurde nach dem Brand der Synagoge gefunden und aufbewahrt. Erst jetzt kann sie öffentlich gezeigt werden.
 

Die Provinz Podlachien

Der vierte Tag der Exkursion führte in die Umgebung von Białystok. Zuerst besuchte unsere Gruppe die Wälder von Pietrasze nahe der Stadt. Dort wurden am 3. und 12. Juli 1941 kurz nach dem Einmarsch der deutschen Truppen über 3.000 jüdische Männer erschossen. Mitten in dem stillen Kiefernwald steht heute ein unscheinbares Denkmal. Bordsteine deuten die Massengräber an, in ihrer Mitte steht ein Obelisk.

Westlich von Białystok befand sich in der Vorkriegszeit ein weiteres Zentrum jüdischen Lebens: die Stadt Tykocin. Im Stadtzentrum liegt eine der wenigen in Polen erhaltenen Synagogen, die heute ein Museum ist. Verschiedene Gruppen, vor allem aus Israel, kommen hierher. Die Hälfte der 4.000 Einwohnerinnen und Einwohner war vor dem Zweiten Weltkrieg jüdisch. Schon vor der Besetzung der Stadt durch die Wehrmacht waren Jüdinnen und Juden des Ortes Anfeindungen und antisemitischen Übergriffen durch die polnische antisemitische Bewegung Narodowa Demokracja (Nationale Demokratie) ausgesetzt, die auch die Verfolgungspolitik der Deutschen unterstützte. Alle verbliebenen Jüdinnen und Juden der Stadt wurden am 24. August 1941 aufgefordert, sich auf dem Stadtplatz zu versammeln. Unter dem Vorwand, ins Ghetto Białystok umgesiedelt zu werden, wurden sie wenige Kilometer aus der Stadt in den Wald von Lupochowa gebracht und dort erschossen. Im Wald erinnern daran heute Gedenksteine, die mit Flaggen, Kerzen, Blumen, Steinen und Fotos geschmückt sind. Der abgelegene Ort wird regelmäßig von Reisegruppen aufgesucht, so trafen auch wir dort auf eine Gruppe Jugendlicher aus Israel.

Den Abschluss dieses Tages bildete der Besuch des Denkmals in Jedwabne. Spätestens seit der Publikation des Buches Nachbarn. Der Mord an den Juden von Jedwabne des Historikers Jan Tomasz Gross im Jahr 2000 ist Jedwabne in ganz Polen und international bekannt. Kaum ein Ort könnte mehr von dem ambivalenten polnisch-jüdischen Verhältnis und dem konfliktreichen Umgang mit dem Holocaust erzählen. Das Massaker von Jedwabne ist heute eines der umstrittensten Themen des Holocaust in Polen. Am 10. Juli 1941 wurden hier mindestens 340 Jüdinnen und Juden von ihren polnischen Nachbarinnen und Nachbarn ermordet. Die Jüdinnen und Juden wurden auf dem Marktplatz zusammengetrieben, misshandelt, einige wurden umgebracht. Alle Verbliebenen wurden in eine Scheune getrieben und bei lebendigem Leibe verbrannt. Deutsche Einheiten waren anwesend und trugen hier wie andernorts in der Region, wo solche Massaker vorkamen, wesentliche Verantwortung dafür. Der Historiker Gross deckte die Rolle der polnischen Bürgerinnen und Bürger als einer der ersten auf. Sein Buch stieß eine heftige Debatte an, die bis heute andauert.
 

Treblinka

Der letzte Tag der Studienfahrt war einem der zentralen Orte des Holocaust gewidmet: dem Mordlager Treblinka. An der Stelle der »Stacja Treblinka«, dem Bahnhof Treblinka, befindet sich heute dank der Initiative des Bildungswerkes Stanislaw Hantz e.V. ein Gedenk- und Informationsort. Von Juli 1942 bis August 1943 stoppten hier die sogenannten Umsiedlerzüge, bevor sie weiter in das Mordlager Treblinka geleitet wurden. Gleichzeitig nutzte die anwohnende Bevölkerung den Bahnhof weiterhin und begegnete den Deportierten. Die Menschen wussten, was hier geschah.

Unsere Seminargruppe umrundete entlang der ehemaligen Grenzen das Gelände des Lagers und besuchte anschließend die Gedenkstätte Treblinka. Von dem ehemaligen Lagerkomplex, dem Arbeitslager Treblinka I und dem Mordlager Treblinka II, ist heute nichts mehr erhalten. Die Gedenkstätte ist künstlerisch gestaltet. Die stilisierte Rampe, das Eingangstor und die Gedenksteine sind symbolisch. Der angedeutete Lageraufbau offenbart die Funktion Treblinkas als reines Vernichtungslager: Die Gleise endeten direkt an der Gaskammer. Aus Warschau wurden 270.000 Jüdinnen und Juden in das Vernichtungslager deportiert; aus Białystok etwa 18.000 Menschen. Diese Zahlen zeigen die Verbindung der auf der Reise besuchten Orte. Der erste Transport, der ins Lager führte, kam aus Warschau, der letzte aus Białystok. Über 13 Monate hinweg wurden in Treblinka etwa 900.000 Jüdinnen und Juden ermordet. Trotz dieser immensen Opferzahl sind die Verbrechen von Treblinka wenig bekannt und der Ort wird im Gegensatz zu der Gedenkstätte Auschwitz selten besucht.

Es gab im Lager verschiedene Formen des Widerstands: von dem Dokumententieren der Verbrechen bis zur bewaffneten Gegenwehr. Einzelfluchten gelangen vor allem in der frühen Lagerzeit. 1943 plante und organisierte eine Gruppe von Arbeitshäftlingen über Monate hinweg einen Aufstand, der schließlich am 2. August 1943 stattfand. Sie konnten die hölzernen Lagergebäude in Brand stecken, die Betonbauten, vor allem die Gaskammern, aber nicht zerstören. So wurden auch nach dem Aufstand noch weitere 8.000 Jüdinnen und Juden aus Białystok ermordet. Im Verlaufe der Revolte kamen viele Häftlinge zu Tode. Einige konnten jedoch fliehen und überleben. Ohne ihr Zeugnis wäre kaum etwas über das Mordlager Treblinka überliefert und eine juristische Ahndung der Verbrechen unmöglich. Denn als das Lager am 21. August 1943 geschlossen wurde, zerstörten die Täter alle baulichen Überreste und damit die Beweise.

Bereits 1947 wurde auf der freiliegenden Fläche des ehemaligen Lagers ein erster Gedenkort geplant, aber erst 1964 wurde das Projekt umgesetzt. 2006 wurde schließlich eine Ausstellung zur Geschichte des Lagers eröffnet. Im Zentrum der heutigen Gedenkstätte steht ungefähr an der Stelle der Gaskammern ein etwa acht Meter hohes Monument. An der Oberseite des Steinblocks sind menschliche Körper angedeutet, darüber segnende Hände. Auf der gegenüberliegenden Seite ist eine Menora eingraviert. Das Monument ist umgeben von 17.000 Granitblöcken. Auf 216 Steinen sind die Namen der Gemeinden eingraviert, aus denen Jüdinnen und Juden in Treblinka ermordet wurden. Auf einem Stein, der links vor dem Monument platziert wurde, ist in verschiedenen Sprachen »Nie wieder!« zu lesen.

Was bedeutet jüdischer Widerstand? Wer leistete aus welchen Beweggründen Widerstand? Welche Faktoren bedingten die jüdische Selbstbehauptung? Mit diesen Fragen reiste die Studiengruppe nach Polen. Vor Ort ergaben sich neue Fragen. Was ist von den Orten, über die im Seminar so viel gesprochen wurde, heute überhaupt zu sehen? Wie sind die Orte gestaltet, von wem und für wen? Wie lässt sich mit den vielen Leerstellen umgehen? Die Erfahrung, Orte zu besuchen, an denen etwas war, davon aber heute nichts mehr zu sehen ist, hat die Reise geprägt. Die Orte sind vielschichtig, schwer zugänglich und sprechen nur selten für sich. Die Gruppe begab sich auf eine regelrechte Spurensuche, die die Erkenntnisse aus dem Seminar vertiefte, erweiterte und teilweise herausforderte. Über die Tage hinweg, von Stadt zu Stadt und Dorf zu Dorf entstand langsam ein Bild. Vorher schnell überlesene Ortsnamen nahmen Gestalt an. Die Zusammenhänge zwischen den Städten, die zeitliche Abfolge der Ereignisse und die räumlichen Verhältnisse des Geschehens wurden immer deutlicher. Der Schlüssel zum Verständnis der Orte in ihrer heutigen Beschaffenheit lag vielfach in der Auseinandersetzung mit ihrer jüngeren Geschichte. Die Frage des polnisch-jüdischen Verhältnisses und die nach der deutschen Verantwortung für das Verfolgungs- und Mordgeschehen und seine Nachwirkungen bis heute waren allgegenwärtig. Die Beschäftigung mit der Vergangenheit konfrontierte mit der Gegenwart und so zeigte sich die Aktualität und Bedeutung, die das Thema noch 80 Jahre nach den jüdischen Aufständen hat.
 

Inga Steinhauser und Leonie Wüst

studieren an der Goethe-Universität Frankfurt am Main und arbeiten als studentische Hilfskräfte am Fritz Bauer Institut.
 

Abbildungen:
 
Jüdisch Historisches Institut, Warschau

Die Milchkanne ist ein zentrales Exponat der Ausstellung »What we´ve been unable to shout out to the world« im Jüdischen Historischen Institut in Warschau. In dieser Milchkanne wurde der zweite, vergrabene, Teil des Ringelblum Archives geborgen.
Foto: Leonie Wüst

POLIN – Museum der Geschichte der polnischen Juden, Warschau

Die Architektur des POLIN in Warschau steht sinnbildlich für den Weg der Juden und Jüdinnen durch das Rote Meer: die gläsernen Außenwände werden durch einen Spalt aufgetrennt.
Foto von Inga Steinhauser

Synagogenkuppel, Białystok

Der verbogene Stahlträger der ehemaligen Synagogenkuppel in Białystok wurde zum Symbol der örtlichen Verbrechen an der jüdischen Bevölkerung im Holocaust. In den 1960er verschwand die originale Kuppel, heute ist eine Nachbildung davon zu sehen.
Foto: Inga Steinhauser

Podlachien

In der unmittelbaren Umgebung von Białystok, in einem stillen Kiefernwald, steht heute ein unscheinbares Denkmal. Die Bordsteine deuten Massengräber an, in ihrer Mitte steht ein Obelisk. Das Denkmal erinnert an die Massenerschießungen durch die Deutschen am 3. und 12. Juli 1941.
Foto: Inga Steinhauser

Jedwabne

Kaum ein Holocaust Gedenkort ist in Polen bekannter als Jedwabne. Am 10. Juli 1941 wurden dort mehrere Hundert Juden und Jüdinnen durch die örtliche Bevölkerung ermordet. Die Blumenkränze und Kerzen wurden bei einem Gedenkakt kurz vor der Studienfahrt von verschiedenen politischen Akteuren und Institutionen dort abgelegt.
Foto: Tobias Freimüller

Treblinka

An der ungefähren Stelle der Gaskammern steht in der Gedenkstätte Treblinka heute ein acht Meter hohes Monument, das an die dort begangenen Verbrechen erinnert. Der Schriftzug »Nie wieder« wurde in den Sprachen der Opfer vor dem Monument in Stein gemeißelt.
Foto: Leonie Wüst

Jüdisch Historisches Institut, Warschau

POLIN – Museum der Geschichte der polnischen Juden, Warschau

Synagogenkuppel, Białystok

Podlachien

Jedwabne

Treblinka


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