Im Anschluss an den Festakt im Wiesbadener Rathaus wurde die Gedenkstätte am Michelsberg – dem Ort der ehemaligen Synagoge – durch Stadtverordnetenvorsteher Wolfgang Nickel und Architektin Barbara Willecke benannt und der Wiesbadener Bürgerschaft übergeben. Neben der Ansprache durch Moritz Neumann, Vorsitzender des Landesverbandes der Jüdischen Gemeinde in Hessen, richteten Oberbürgermeister Dr. Müller und Dr. Jacob Gutmark, Vorstand der Jüdischen Gemeinde Wiesbaden Grußworte an die Einweihungsgäste.
Auf Beschluss der Stadtverordnetenversammlung ist 2006 ein städtebaulicher Ideenwettbewerb zur Neugestaltung des Areals um die vormalige Heinrich-Heine-Anlage am Michelsberg durchgeführt worden. Dessen vordringliches Ziel war die Schaffung eines würdevollen Ortes zum namentlichen Gedenken an alle während der nationalsozialistischen Diktatur ermordeten jüdischen Bürgerinnen und Bürger Wiesbadens. Bislang befand sich dort lediglich ein nur wenig aussagekräftiges Gedenkensemble, bestehend aus einer Säule und drei Hinweistafeln, womit an die in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 von den braunen Barbaren überfallene, geschändete und in Brand gesetzte Hauptsynagoge der israelitischen Kultusgemeinde Wiesbaden erinnert worden ist.
Die neue Gedenkanlage wurde nach den Plänen der Berliner Landschaftsarchitektin Barbara Willeke durch die Stadtentwicklungsgesellschaft Wiesbaden realisiert, genau an jener Stelle, an der einst die prächtige, von Philipp Hoffmann 1869 im maurischen Baustil errichtete Synagoge als Zentrum der liberalen jüdischen Gemeinde weithin sichtbar emporragte. An sie erinnert schon seit geraumer Zeit und sehr eindrucksvoll eine virtuelle Rekonstruktion, die von einer Arbeitsgruppe an der Fachhochschule Wiesbaden unter Leitung von Edgar Brück geschaffen wurde. Die preisgekrönte fotorealistische 3D-Visualisierung in Form einer Computeranimation kann in einem besonderen Gedenk- und Informationsraum im Foyer des Rathauses ebenso betrachtet werden wie eine vom Aktiven Museum Spiegelgasse konzipierte und finanzierte Dauerausstellung zu Leben, Leid und Ermordung der Wiesbadener Juden.
Während erst kürzlich im Bereich des neuen Freizeit- und Kulturparks am Schlachthof vom Frankfurter Installationskünstler Vollrad Kutscher und vom Wiesbadener Sprayer Yorkar7 eine eindrucksvolle, in ihrer Art beispiellose künstlerische Form der Erinnerung an die seinerzeit von jenem Ort ausgehenden Deportationen realisiert worden ist, dient das neue, durch seine Architektur, Größe und Zielsetzung geradezu überwältigende Mahnmal auf dem Michelsberg der Bewahrung der Namen sämtlicher Wiesbadener Opfer der Shoah. Deren historiographische Ermittlung wie auch die der biographischen Daten der Ermordeten wurden vom Stadtarchiv in Kooperation mit dem Aktiven Museum Spiegelgasse durchgeführt. Letzteres macht die Öffentlichkeit seit seiner Gründung 1988 auf vielfältige Weise auf das Schicksal der Wiesbadener Jüdinnen und Juden aufmerksam, so zum Beispiel durch die Verlegung von »Stolpersteinen« vor deren jeweils letzten selbst gewählten Wohnsitzen sowie durch die Erarbeitung und Präsentation von lebensgeschichtlichen »Erinnerungsblättern«.
Das neue Mahnmal am Michelsberg versammelt alle bisher ermittelten 1.507 Namen der jüdischen Opfer des NS-Rassenwahns aus Wiesbaden auf einer 62 Meter langen Wand. Neben den Namen der Opfer sind, soweit bekannt, auch Geburts- und Sterbejahr sowie der Sterbeort – in den meisten Fällen ein Konzentrations- oder Vernichtungslager – genannt. Nach jüdischem Brauch ist es religiöse Pflicht, sich der Verstorbenen über die Bewahrung ihrer Namen zu erinnern. »Nur wessen Name vergessen ist, der ist wirklich tot«, sagt ein altes Sprichwort. Da die während jener Schreckensjahre ermordeten jüdischen Menschen fast nirgends ein eigenes Grab erhalten haben und es somit keinen Ort gibt, zu dem sich deren Angehörige begeben können, um ihrer zu trauern und gedenken, kommt diesem Bauwerk eine doppelte Bedeutung als Mahn- und Gedenkort zu.
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