Auschwitz ist das Symbol für den Mord an den europäischen Jüdinnen und Juden. Der Name des Ortes steht paradigmatisch für die deutschen Verbrechen und den »Zivilisationsbruch« (Dan Diner), den sie bedeuten. Der Tag der Befreiung des Konzentrationslagers durch die Rote Armee – der 27. Januar – wurde 2005 von den Vereinten Nationen zum Internationalen Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocaust erklärt. Im Jahr 2019 wurde die Gedenkstätte, die 1947 auf Beschluss des polnischen Parlaments gegründet wurde, von 2,3 Millionen Menschen besucht. Dass Auschwitz im öffentlichen Bewusstsein so präsent ist, hängt auch mit der schieren Größe des Lagerkomplexes und seiner zentralen Stellung im System der Vernichtung zusammen. Zudem haben zahlreiche Überlebende ihre Erfahrungen in literarischen Berichten verarbeitet, die die gesellschaftliche Auseinandersetzung mit dem Holocaust in Deutschland und anderswo bis heute maßgeblich prägen, darunter Primo Levi, Jean Amery, Ruth Klüger und Imre Kertész.
Im nationalsozialistischen System von Terror, Ausbeutung und Mord hatte das Lager eine Doppelfunktion als Konzentrations- und Vernichtungslager. Dort wurden zwischen 1,1 und 1,5 Millionen Menschen – vor allem Juden, aber auch nichtjüdische Polen, sowjetische Kriegsgefangene sowie Sinti und Roma – ermordet. Der Lagerkomplex bestand aus drei Teilen: dem Stammlager (Auschwitz I), dem Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau (Auschwitz II) und dem KZ Monowitz (Auschwitz III) im östlichen Stadtteil Monowice.
Am 3. Juni 2022 reiste eine Gruppe von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Fritz Bauer Instituts für einen fünftägigen Studienaufenthalt in die polnische Stadt Oświęcim, wo die SS zwischen 1940 und 1945 das KZ Auschwitz betrieb. Es war von besonderem Wert, dass Kolleginnen und Kollegen aus allen Arbeitsbereichen des Instituts an der Reise teilnehmen konnten, auch die studentischen Hilfskräfte und »Guides«, die am Fritz Bauer Institut Workshops und Führungen für Lehrkräfte, Schülerinnen und Schüler sowie für andere interessierte Gruppen anbieten.
Die Reise wurde in Kooperation mit dem Bildungswerk Stanisław Hantz organisiert. Dr. Andreas Kahrs vom Bildungswerk führte die Gruppe. Ermöglicht und finanziert hat die Exkursion die Firma Evonik. Markus Langer, bei Evonik Leiter der Abteilung Corporate Identity & Brand Experience / Communications, begleitete uns. Nach der Begrüßung in der Gedenkstätte des Staatlichen Museums Auschwitz-Birkenau durch ihren stellvertretenden Direktor Andrzej Kacorzyk wurden wir durch das ehemalige Stammlager und die Hauptausstellung geführt. Das Stammlager, über dessen Tor der weithin bekannte zynische Schriftzug »Arbeit macht frei« prangt, ließen die deutschen Besatzer von polnischen und jüdischen Zwangsarbeitern in einer ehemaligen polnischen Kaserne errichten. Die Backsteingebäude, zunächst errichtet für Saisonarbeiter im Ersten Weltkrieg, wurden ausgebaut und aufgestockt, Wachtürme und Stacheldraht hinzugebaut. Außerhalb der Mauern wurde ein Krematorium eingerichtet. In den ersten Monaten waren im Stammlager vor allem politische Gefangene – polnische Soldaten, Intellektuelle, Widerständler – interniert. Nach dem Überfall auf die Sowjetunion im Sommer 1941 kamen sowjetische Kriegsgefangene hinzu und ab März 1942 wurden auf Anordnung des »Judenreferats« von Adolf Eichmann auch Juden aus ganz Europa dorthin deportiert.
Die Gestaltung der Gedenkstätte warf in unserer Gruppe die Frage auf, inwiefern es sinnvoll ist, die Besucherinnen und Besucher mit den großen Mengen an Hinterlassenschaften der Häftlinge zu konfrontieren. Die Berge von Koffern, Haaren, Prothesen und anderen Gegenständen, die in Vitrinen aufbewahrt werden, stehen im öffentlichen Bewusstsein ikonisch für die Gedenkstätte. Die Frage, ob sich die Art und Weise, wie sie gezeigt werden, die noch auf die Anfänge der Museumsgestaltung zurückgeht, heute zur historisch-politischen Bildung eignet oder allenfalls überwältigt und emotional berührt, ist nicht einfach zu beantworten. Es sollte bedacht werden, dass die bloße Existenz des Materials, von dem nur ein Teil in der Ausstellung präsentiert wird, Aufmerksamkeit erzwingt. Die Hinterlassenschaften einfach einzulagern würde bedeuten, sie vor der Öffentlichkeit zu verbergen. Irritierend war außerdem der standardisierte Charakter der Führung durch die Hauptausstellung, bei der die Inhalte in einem zeitlich genau getakteten Rahmen vorgetragen werden. Um angesichts der großen Zahl der Besuchergruppen, die gleichzeitig durch die Gedenkstätte geschleust wurden, einen Stau zu vermeiden, konnte man an keiner Stelle länger verweilen. Die Verunsicherung, die der Besuch eines ehemaligen Konzentrationslagers auslösen kann, zuzulassen und sie als Anstoß wahrzunehmen, um über die Geschichte des Ortes zu reflektieren, fällt unter diesen Umständen schwer.
Die Inhaftierten bildeten keine homogene Gemeinschaft. Es lässt sich eher von einer Häftlingsgesellschaft sprechen, die von nationalen, sozialen, politischen und religiösen Unterschieden geprägt war. In der Gedenkstättenkonzeption des Stammlagers spiegeln sich vor allem die unterschiedlichen nationalen Hintergründe der verschiedenen Häftlingsgruppen wider. So besuchten wir auch die Ausstellungen, die sich der länderspezifischen Geschichte der Verfolgung beziehungsweise der Verfolgung einer bestimmten Gruppe widmen und von Kuratorinnen und Kuratoren aus den jeweiligen Ländern erarbeitet wurden. Erst im Herbst letzten Jahres wurde die neue österreichische Ausstellung »Entfernung – Österreich und Auschwitz« eröffnet. Ihre Vorgängerin von 1978 hatte das Land unter weitgehender Ausblendung jeder Täterschaft noch als »erstes Opfer« des Nationalsozialismus präsentiert. Die neue Ausstellung widmet sich hingegen neben den Opfern und dem Widerstand auch den österreichischen Tätern. So spiegelt sich in den Länderausstellungen der jeweilige Stand der Auseinandersetzung vor Ort mit der Geschichte des Nationalsozialismus wider. Während die israelische Ausstellung das Leid der jüdischen Opfer in den Mittelpunkt rückt, verschwindet dieses in der polnischen Ausstellung hinter dem militärischen Sieg über Deutschland.
Beeindruckend war die Besuchergruppen üblicherweise nicht zugängliche Kunstausstellung, die sich den vielfältigen Werken widmet, die von Häftlingen im Konzentrationslager oder nach der Befreiung in der Auseinandersetzung mit ihrer Erfahrung angefertigt wurden. Die Sammlung beinhaltet Bilder, die im Auftrag der SS entstanden sind, ebenso wie heimlich angefertigte Malereien, Zeichnungen und Figuren, die eher ein Moment der Autonomie der Häftlinge markieren.
Auf dem Programm stand auch ein Besuch der deutsch-polnischen Internationalen Jugendbegegnungsstätte (IJBS), wo wir eine Einführung in die Geschichte und die pädagogische Arbeit der IJBS durch Judith Hoehne-Krawcyzk erhielten. In den 1970er Jahren unterbreitete die Aktion Sühnezeichen Friedensdienste (ASF) erstmals der polnischen Regierung die Idee zu einer Begegnungsstätte in Oświęcim. Nach langem Ringen um den organisatorischen Rahmen, die inhaltliche Arbeit und die Finanzierung konnte das Haus schließlich erst 1986 eingeweiht werden. Dies wurde nicht zuletzt wegen des besonderen Engagements ehemaliger KZ-Häftlinge möglich. In einem zweiten Vortrag stellte Dr. Krystyna Oleksy die Geschichte und Entwicklung der Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau dar; von 1990 bis zu ihrem Ruhestand 2012 war sie deren stellvertretende Direktorin.
Das KZ Auschwitz wurde nicht von Beginn an als Ort konzipiert, an dem die systematische Ermordung der europäischen Juden stattfinden sollte. So wurde das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau erst ab Oktober 1941 etwa drei Kilometer entfernt vom Stammlager errichtet. Wir besuchten zunächst den Gedenkort »Alte Rampe«, der außerhalb des Lagergeländes liegt und erst später Teil der Gedenkstätte wurde. An diesem Beispiel wurde ersichtlich, dass es darüber, welche Orte in Oświęcim in die Gedenkstätte einbezogen wurden, Konflikte gab. Es folgte eine Führung durch das ehemalige Vernichtungslager, die über die Lagerstruktur, die Unterbringung und Situation der Häftlinge sowie den Prozess von Raub und Vernichtung informierte.
Die meisten Besucherinnen und Besucher beschränken sich auf die Lagerteile Auschwitz I und II, die heute Teil der Gedenkstätte sind. Eine Besonderheit der Exkursion war, dass sie Gelegenheit bot, sich ebenso eingehend mit dem KZ Monowitz, genannt Auschwitz III, und dem gesamten »Interessengebiet des KZ Auschwitz«, das mehrere Nebenlager, darunter Landwirtschaftsbetriebe, umfasste, sowie der Geschichte der Stadt Oświęcim auseinanderzusetzten. Mit dem KZ Monowitz befand sich östlich des Stammlagers das erste Konzentrationslager, das von einem Privatunternehmen – der IG Farben – geplant und finanziert wurde. Von hier aus wurden KZ-Häftlinge zur Zwangsarbeit für den Aufbau der Treibstoffwerke der IG Farben gebracht. Für die Zentralverwaltung dieses Konzerns war zu Beginn der 1930er Jahre in Frankfurt am Main jenes Gebäude fertiggestellt worden, in das die Goethe-Universität 2001 eingezogen ist und in dem heute auch das Fritz Bauer Institut seinen Sitz hat. Vor dem Gebäude befindet sich seit 2008 das Wollheim-Memorial, das nach dem ehemaligen IG Farben-Zwangsarbeiter Norbert Wollheim benannt ist. Mittels Videointerviews und Tafeln, auf denen die Porträts ehemaliger Häftlinge abgebildet sind, wird dort an die Geschichte des KZ Monowitz und den Holocaust erinnert. In Monowice erinnert heute einzig ein steinernes Kreuz, das auf die Initiative der Bewohner des nach dem Zweiten Weltkrieg wiedererrichteten Dorfes zurückgeht, an die Opfer dieses Teils des Lagerkomplexes Auschwitz.
Außerhalb des Blicks der meisten Besucherinnen und Besucher der Gedenkstätte bleibt auch die Stadt Oświęcim, die von den deutschen Besatzern im Rahmen der Germanisierungspolitik zur »Musterstadt Auschwitz« ernannt wurde. Die Deutschen deportierten die lokale jüdische Bevölkerung in die Ghettos der Umgebung und zerstörten zuvor die große Synagoge, an die heute nur noch ein Denkmal erinnert. Der zentrale Marktplatz wurde für aufwendig inszenierte Feste und Konzerte genutzt – währenddessen nur wenige Kilometer entfernt die massenhafte Ermordung von Menschen betrieben wurde. Oświęcim wurde auch architektonisch stark von den Besatzern geprägt; bereits vorhandene Gebäude wurden verändert, neue Siedlungen erbaut – gedacht für die Arbeiter der IG Farben-Werke.
Vor dem deutschen Überfall auf Polen hatte Oświęcim eine große jüdische Gemeinde. Im Rahmen einer Stadtführung besuchten wir das Jüdische Zentrum und den Jüdischen Friedhof. Das Zentrum wurde im Jahr 2000 gegründet und widmet sich der Erinnerung an die jüdische Gemeinde der Stadt, deren Geschichte es in einer Ausstellung dokumentiert. Es beherbergt außerdem die einzige erhaltene Synagoge und klärt im Rahmen seiner Bildungsarbeit über Antisemitismus und Rassismus auf.
Sich vor Ort mit der Geschichte des Lagerkomplexes zu beschäftigen, bot die Möglichkeit, eine genauere Vorstellung seiner räumlichen Dimension zu erhalten. Es wurde deutlich, dass der Lagerkomplex Auschwitz noch weit mehr Orte umfasste, als heute Teil der Gedenkstätte sind. Letztlich wurden die gesamte Umgebung und auch das Stadtbild von der Besatzung durch die Deutschen und ihr System aus Zwangsarbeit, Vertreibung, Raub und Vernichtung geprägt. Die zahlreichen Ausstellungen, die sich in der Gedenkstätte befinden, boten nicht nur umfassende Informationen über die nationalsozialistische Verfolgungs- und Mordpraxis, sondern stießen in unserer Gruppe auch intensive Debatten über Fragen der Erinnerungspolitik, des angemessenen Gedenkens und der Möglichkeiten historisch-politischer Bildungsarbeit an. So besprachen wir, inwiefern Bildung und Gedenken mit emotionalen Zugängen über Musik und Filmaufnahmen, die erst einmal keinen Informationsgehalt haben, zusammengebracht werden können. Während die einen auf eine nüchterne historische Auseinandersetzung pochten, hoben die anderen hervor, dass es eine Erleichterung bedeuten könne, in einer Gedenkstätte auch Emotionen Raum zu geben. Schließlich gab auch die Konfrontation mit den großen Besuchermengen und der sich daraus ergebenden Struktur des Ortes Anlass zur Debatte. Bei aller Irritation über die teilweise touristisch anmutenden Besuchergruppen, mit denen man gemeinsam und eng gedrängt durch die Gedenkstätte geschleust wird, stellten wir fest, dass auch wir selbst Teil der Millionen jährlicher Besucher waren, die die Gedenkstätte und diejenigen, die dort Führungen geben, vor Herausforderungen stellen.
Christopher Gomer ist als studentische Hilfskraft für das Fritz Bauer Institut tätig.