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Wednesday, 15. September 2010, 19:00 o'clock

Der Begriff der Vertreibung als falscher Sammelbegriff
Bemerkungen eines polnischen Historikers

Micha Brumlik im Gespräch mit Tomasz Szarota:

Goethe-Universität Frankfurt am Main
Campus Westend
Grüneburgplatz 1
IG Farben-Haus, EG, Raum 411

Bereits im Dezember 2009 verließ der polnische Historiker Tomasz Szarota als erster den wissenschaftlichen Beraterkreis der Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung. Szarota kritisierte das Konzept der geplanten Einrichtung sowie die personelle Zusammensetzung der Stiftungsgremien. Sein Verzicht setzte ein Signal für die Wahrnehmung der Arbeit der Bundesstiftung durch die polnische Öffentlichkeit.
In seinem Vortrag wird Prof. Dr. Szarota über den Begriff der Vertreibung aus deutscher und aus polnischer Perspektive sprechen. Dabei wird es darum gehen zu zeigen, in welchen historischen Situationen dieser Begriff unterschiedlich eingesetzt und verstanden wurde. So verstehen die Polen unter »Heimatverlust« den Verlust ihrer Autonomie im Jahr 1939 sowie der Wegfall von Ostpolen an die Sowjetunion. Die Deutschen beziehen ihn auf das Jahr 1945, mithin auf die Folgen des von Deutschen begonnenen Krieges. Und umgekehrt bezeichneten die Deutschen mit den »wiedereroberten Gebieten« diejenigen, die sie 1939 nach dem Überfall auf Polen besetzten und die vor 1918 zum großen Teil zum Kaiserreich gehörten. Für die Polen ist der Begriff »wiedergewonnene Gebiete« (polnisch: Ziemie Odzyskane) hingegen mit dem Jahr 1945 und der Gebietserweiterung im Westen verbunden.
Mit seinem Vortrag will Szarota dazu beitragen, zu einer Sprache zu finden, die zu einer »vernünftigen« Versöhnung führen kann.

Prof. Dr. Tomasz Szarota, geboren in Warschau 1940, ist Professor am Institut für Geschichte der Polnischen Akademie der Wissenschaften. Dort leitet er die Abteilung »Geschichte Polens nach 1945«. Er ist Autor vieler Bücher, von denen drei ins Deutsche übersetzt wurden: Warschau unter dem Hakenkreuz. Leben und Alltag im besetzten Warschau, Paderborn: Schöningh Verlag, 1986. Der deutsche Michel. Die Geschichte eines nationalen Symbols und Autostereotyps, Osnabrück: fibre-Verlag, 1998. Stereotypen und Konflikte, Historische Studien zu den deutsch-polnischen Beziehungen, Osnabrück: fibre-Verlag, 2010.

Prof. Dr. Micha Brumlik, geboren 1947 in Davos, Schweiz, lebt heute in Frankfurt am Main. Seit 2000 ist er Professor am Institut für Allgemeine Erziehungswissenschaft der Goethe-Universität Frankfurt mit dem Schwerpunkt »Theorie der Erziehung und Bildung«. Daneben leitete er von Oktober 2000 bis September 2005 als Direktor das Fritz Bauer Institut. Seine Forschungsschwerpunkte sind Pädagogik, Ethik, Theorie und Empirie moralischer Sozialisation sowie Religionsphilosophie.

Kontakt
Fritz Bauer Institut
Tel.: 069.798 322-40
info(at)fritz-bauer-institut.de



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