The Institute

Wednesday, 23. July 2014

»Norbert-Wollheim-Platz«
Neue Adresse der Goethe-Universität Frankfurt

Laut Senatsbeschluss der Goethe-Universität wird der
Grüneburgplatz umbenannt und der Gebäudename
»IG Farben-Haus« verbindlich festgeschrieben.

Der Senat der Goethe-Universität Frankfurt am Main hat in seiner Sitzung vom 23. Juli mit großer Mehrheit die Neubenennung wesentlicher Straßen und Plätze auf dem Campus Westend beschlossen. Namensgebungen nach Theodor W. Adorno, Max Horkheimer und Norbert Wollheim werden im Rahmen eines Gesamtplans erfolgen, der eine eindeutige Zuordnung aller Gebäude auf dem Campus vorsieht.
»Damit wird 13 Jahre nach der Übergabe des IG Farben-Hauses sowie des umliegenden Areals an die Goethe-Universität erstmals ein aufeinander abgestimmtes Konzept vorgelegt, das historische Persönlichkeiten der Goethe-Universität sowie ein prominentes Opfer des IG-Farben-Konzerns würdigt«, lobte Universitätspräsident Prof. Werner Müller-Esterl die Senats-Entscheidung.
Beschlossen wurde die Umbenennung folgender Wege, Straßen und Plätze im Rahmen eines Gesamtkonzepts:
– Der Grüneburgplatz und dessen Zufahrtswege von Ost und West heißen künftig Norbert-Wollheim-Platz.
– Der zentrale Universitätsplatz zwischen Casinoanbau und Hörsaalzentrum wird Theodor-W.-Adorno-Platz genannt.
– Die heutige Lübecker Straße im Osten des Campus Westend erhält den Namen Max-Horkheimer-Straße.
Mit der ebenfalls beschlossenen Festschreibung der Benennung des IG Farben-Hauses wird auf die frühere Nutzung des Gebäudes als Konzernzentrale der I.G. Farbenindustrie verwiesen, die vielfältig mit den Menschheitsverbreschen des Nazi-Regimes verstrickt war. Die Bezeichnungen IG-Hochhaus, oder die auf den Architekten verweisenden Benennungen Poelzig-Bau und Poelzig-Ensemble werden zukünftig nicht mehr verwendet.
»Mit der Umbenennung signalisiert die Goethe-Universität in ihrem Jubiläumsjahr, dass sie sich nicht nur mit ihrer eigenen Vergangenheit auseinandersetzt, sondern sich als Nutzer der Liegenschaften des ehemaligen IG-Farben-Konzerns auch der kritischen Aufarbeitung dieser Konzerngeschichte verpflichtet sieht«, sagte Müller-Esterl. »Wir hoffen nun auf eine einvernehmliche Regelung mit dem zuständigen Ortsbeirat.«
Der Ortsbeirat Westend hatte die Umbenennung des Grüneburgplatzes allerdings bereits auf seiner Sitzung im Juni 2014 beschlossen. Die jetzt vom Senat beschlossene Konzept wurde laut Müller-Esterl bereits in Vorgesprächen mit Vertretern des Ortsbeirats besprochen. Es ist also zu erwarten, dass der Beschluss von den zuständigen städtischen Gremien auch in dieser Form umgesetzt werden wird.
Mit der Umbenennung des  Grüneburgplatzes in Norbert-Wollheim-Platz kommt die Universität den langjährigen Forderungen von Überlebenden des Arbeitslagers Buna/Monowitz und einer Studierendeninitiative nach. Im Januar 2014 wurde die Frage der Umbenennung durch eine erneute Initiative des Studienkreises Deutscher Widerstand 1933–1945 wieder in die öffentliche Diskussion gebracht. Nachdem der Ortsbeirat die Umbenennung bereits beschlossen hatte, die Universität jedoch weiter Vorbehalte geltend machte, wandte sich der Rat der Überlebenden des Holocaust am Fritz Bauer Institut, die Conference on Jewish Material Claims Against Germany und der Förderverein Fritz Bauer Institut e.V. in einem gemeinsamen Offenen Brief an das Präsidium der Universität, um der Umbenennungsinitiative Nachtdruck zu verleihen. Auch die Überlebenden aus dem »Treffpunkt«, Zentrum für Überlebende der Shoah und ihre Familien machten Ihre Unterstützung für die Umbenennung öffentlich. So haben gesellschaftliches und studentisches Engagement der Frankfurter Universität im 100. Jahr ihres Bestehens zu einem angemesseneren Geschichtsbewusstsein verholfen.
Es bleibt zu hoffen, dass die Universität zukünftig auch von einer »Fremdnutzung« des Geländes des Norbert-Wollheim-Memorials absieht, das sowohl als ein Ort der Information, aber vor allem als ein Ort des würdevollen Gedenkens an die Zwangsarbeiter des Konzentrationslagers Buna/Monowitz konzipiert und errichtet wurde. Entsprechend sollte dieser Ort auch gesehen und gewürdigt werden. Die in diesem Sommer über mehrere Wochen dort abgehaltene Verkaufsmesse für die bunten Goethe-Figuren des Künstlers Ottmar Hörl war dem von Heiner Blum bewusst zurückhaltend gestalteten Erinnerungsraum an die Opfer der IG Farbenindustrie sicher nicht angemessen.

Norbert Wollheim: 1913–1998 war Wirtschaftsprüfer, Steuerberater, ehemaliges Direktoriums-Mitglied des Zentralrats der Juden in Deutschland. 1943 Deportation nach Auschwitz; Zwangsarbeit für die I.G. Farben, 1945 erfolgreiche Flucht auf dem Todesmarsch, einziger Überlebender seiner Familie. Die 1950 eingereichte Klage gegen die I.G. Farben auf Entschädigung für geleistete Zwangsarbeit war das erste Musterverfahren in der deutschen Nachkriegszeit.

Theodor W. Adorno: 1903–1969, deutscher Philosoph, Soziologe, Musiktheoretiker und Komponist; zählt zu den Hauptvertretern der Frankfurter Schule. 1921-34 Studium und Habilitation in Frankfurt/Tätigkeit als Privatdozent, 1934-45 Vertreibung und Exil in England und USA, 1953 Rückkehr nach Deutschland, bis 1969 Professor für Philosophie und Soziologie an der Goethe-Universität sowie einer der Direktoren des wiedereröffneten Frankfurter Instituts für Sozialforschung.

Max Horkheimer: 1895–1973, Sozialphilosoph, Hauptvertreter der Frankfurter Schule, ehemaliger Rektor; 1919–1922 Studium in München, Frankfurt und Freiburg, 1922 Promotion in Frankfurt bei Hans Cornelius, 1925 Habilitation, 1930 Ernennung zum Ordinarius für Sozialphilosophie an der Philosophischen Fakultät in Frankfurt sowie Ernennung zum Direktor des Instituts für Sozialforschung bis zu dessen Schließung durch die Nationalsozialisten. 1933 Emigration in die USA, 1949 Rückkehr auf den Doppellehrstuhl für Philosophie und Soziologie. 1950 Wiedereröffnung des Instituts für Sozialforschung unter seiner Leitung (mit Adorno als stellvertretendem Direktor), 1951 Wahl zum Rektor der Goethe-Universität.

Jean-Christophe Ammann im Gespräch mit Heiner Blum zu dessen Konzeption des Norbert-Wollheim-Memorials:
Der Schweizer Kunsthistoriker Jean-Christophe Ammann war von 1991 bis 2002 Direktor des Frankfurter Museums für Moderne Kunst, Heiner Blum ist Professor für Experimentelle Raumkonzepte an der Hochschule für Gestaltung, Offenbach am Main.
www.heinerblum.de/arbeiten/situative-projekte/wollheim-memorial


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