Pressemitteilung zur geplanten Auktion »Das System des Terrors, Volume II, 1933–1945« des Auktionshauses Felzmann am 17. November 2025 in Neuss
Der Brief eines polnischen Auschwitz-Häftlings aus dem Jahr 1940 für 180 Euro? Die Gestapokarteikarte mit Informationen zur Hinrichtung eines jüdischen Bewohners des Ghettos Mackheim in Ostpreußen im Juli 1942 für 350 Euro? Oder doch lieber die Mitteilung über den Tod einer 1944 im Rahmen der sogenannten Euthanasie ermordeten Patientin der Landesheilanstalt Hadamar ebenfalls für 350 Euro? Vor eine solche Wahl ist die Kundschaft des Auktionshauses Felzmann am 17. November 2025 gestellt. Denn dann versteigern die in erster Linie auf Briefmarken spezialisierten Auktionatoren des renommierten Unternehmens aus Neuss die Sammlung eines privaten NS-Forschers.
Die 623 Lose der geplanten Auktion unter dem Titel »Das System des Terrors, Volume II, 1933–1945« (Volume I datiert von 2019) umfassen die Korrespondenz von Häftlingen deutscher Konzentrationslager mit ihren Angehörigen, insgesamt mehrere hundert Briefe. Allesamt Schriftstücke aus verschiedensten NS-Verfolgungskontexten sowie Täterdokumente, darunter die Notizen Arthur Liebehenschels, des Kommandanten des Konzentrations- und Vernichtungslagers Auschwitz, in Vorbereitung auf seine Verteidigung im Krakauer Auschwitz-Prozess 1947.
Das Fritz Bauer Institut protestiert gegen die geplante Versteigerung des Auktionshauses Felzmann und spricht sich grundsätzlich gegen einen kommerziellen Handel mit Dokumenten der NS-Verfolgung und des Holocaust aus. Mit solchen Unterlagen dürfen keine Geschäfte gemacht werden.
Die schriftliche und audiovisuelle Überlieferung der NS-Verbrechen sowie ihrer Nachgeschichte muss dringend den öffentlichen Archiven und Gedenkstätten anvertraut werden. Nur hier werden die Dokumente fachgerecht für die Zukunft konserviert, verzeichnet, aufbewahrt und unter Berücksichtigung ihrer Provenienz, aller Urheber- und Persönlichkeitsrechte sowie der schutzwürdigen Belange Betroffener oder ihrer Nachkommen der zeithistorischen Forschung und einer interessierten Öffentlichkeit zugänglich gemacht.
Wohin der Handel mit Dokumenten des Holocaust führen kann, macht ein Blick in den Katalog des Auktionshauses Felzmann, deutlich, der online verfügbar ist:
› https://auktionen.felzmann.de/Auktion/Onlinekatalog?intAuktionsId=1332.
Die ausgerufenen Preise für die Häftlingsbriefe von Auschwitz etwa, oftmals die letzten Zeugnisse der Verschleppten, unterliegen einer zynischen Verwertungslogik, der zufolge Schriftstücke von Absendern mit niedriger Häftlingsnummer seltener und damit teurer sind als Post von Häftlingen mit höheren Nummern. Aus demselben Grund veranschlagt das Auktionshaus für Briefe, die von den Absendern im Konzentrationslager mit kleinen Zeichnungen versehen worden sind, ein höheres Startgebot. An einer Stelle des Kataloges wird dieses Verfahren zur Preisermittlung explizit: Zur Begründung eines hohen Startgebots heißt es ebenso lapidar wie grausam, »solche ›späten Belege‹« seien »rar, weil 1943 nur wenige Juden am Leben waren«.
Die Gedankenlosigkeit, mit der die Dokumente der NS-Verfolgung behandelt werden, drückt sich auch im Umgang mit den Persönlichkeitsrechten der Verfolgten und den schutzwürdigen Belangen von Nachkommen aus. Im Katalog wird beispielsweise das amtsärztliche Gutachten eines 1937 in Dachau wegen angeblichen »angeborenen Schwachsinns« zwangssterilisierten Mannes zum Verkauf angeboten. Dem Dokument – das online auf der Webseite des Auktionshauses frei einsehbar ist – ist nicht nur der Name des Mannes samt Adresse, sondern auch der Umstand zu entnehmen, dass er fünf Kinder hatte. In einem öffentlichen Archiv wäre ein solches Dokument mit hoher Wahrscheinlichkeit nur unter der Auflage zugänglich gemacht worden, dass die Anonymität des Mannes gewahrt bleiben muss, um seine Angehörigen zu schützen.
Pressemitteilung als pdf-Datei
› Geschäftemachen mit NS-Verfolgung und Holocaust
Für Nachfragen stehen zur Verfügung:
Johannes Beermann-Schön M.A., M.A., Archivar des Fritz Bauer Instituts
› j.beermann(at)fritz-bauer-institut.de, Tel.: 069.798 322 25
Prof. Dr. Sybille Steinbacher, Direktorin des Fritz Bauer Instituts
› sekretariat.steinbacher(at)fritz-bauer-institut.de, Tel.: 069.793 322 40
Das Fritz Bauer Institut
ist eine unabhängige, zeitgeschichtlich ausgerichtete und interdisziplinär orientierte Forschungs- und Bildungseinrichtung in Frankfurt am Main, die die Geschichte der nationalsozialistischen Massenverbrechen – insbesondere des Holocaust – und deren Wirkung bis in die Gegenwart untersucht. Es wurde 1995 vom Land Hessen, der Stadt Frankfurt und dem Förderverein Fritz Bauer Institut e.V. als Stiftung bürgerlichen Rechts ins Leben gerufen und hat seinen Sitz in der Goethe-Universität Frankfurt am Main.