»Gesetze sind nicht auf Pergament, sondern auf empfindliche Menschenhaut geschrieben.«
Fritz Bauer
Die diesjährige Preisverleihung wurde am 9. Oktober im Rahmen des Verbandstages der Humanistischen Union abgehalten. Die Bundesvorsitzende der Humanistischen Union, Prof. Dr. Rosemarie Will führte in die Veranstaltung ein, die Laudatio hielt Michael Plöse, Humboldt-Universität zu Berlin. Der Festakt fand an einen geschichtsträchtigen Ort statt: Im so genannten EL-DE-Haus am Apellhofplatz 23-25 war von 1935 bis zum Kriegsende 1945 die Kölner Zentrale der Geheimen Staatspolizei (Gestapo) untergebracht. In den Zellen und Verwaltungsräumen erinnert heute ein Ausstellungs- und Dokumentationszentrum an einzelne Schicksale der Insassen und klärt über die Funktionsweise des NS-Systems auf.
Ein Lebenswerk zu den Hinterlassenschaften des NS-Unrechts
Die Humanistische Union vergibt ihren diesjährigen Fritz-Bauer-Preis an Dr. Helmut Kramer. Der Bundesvorstand begründet die Entscheidung mit den herausragenden Verdiensten Kramers um ein humanes Rechtswesen in Vergangenheit und Gegenwart: »Helmut Kramer setzt sich seit Jahrzehnten für die Aufhebung von Unrechtsurteilen, für die Aufklärung der Verstrickungen und Beteiligungen von Juristen an nationalsozialistischen Verbrechen und die Aufhebung der rechtspolitischen Hinterlassenschaften dieses Regimes ein.« Für seine Initiativen zur Aufarbeitung der jüngeren Justizgeschichte, für sein Engagement gegen das Rechtsberatungsgesetz und nicht zuletzt in Anerkennung seiner friedenspolitischen Bemühungen vergibt die Humanistische Union in diesem Jahr ihre höchste Auszeichnung an den früheren Richter am OLG Braunschweig.
Helmut Kramer hat sich der Aufhebung nationalsozialistischen Unrechts auf allen Ebenen verschrieben: Sein Name steht gleichermaßen für die Rehabilitierung der Opfer (Wiederaufnahmeverfahren Erna Wazinski), für die lokalhistorische Dokumentation der Verbrechen (Ausstellung »Braunschweig unterm Hakenkreuz«), für die Aufdeckung personeller Kontinuitäten in der bundesdeutschen Justiz (Affäre Puvogel), die Aufhebung des NS-Unrechts (Rehabilitierungsgesetze 1998 u. 2009) und die rechtshistorische Bildungsarbeit (Fortbildungen der Richterakademie, Forum Justizgeschichte, Gedenkstätte Wolfenbüttel). Dabei knüpft er nicht nur ideell an das Werk Fritz Bauers an. 1984 veröffentlicht er seinen wohl folgenschwersten Aufsatz über die Beteiligung von Juristen an der »Aktion T4«, dem nationalsozialistischen Programm zur Vernichtung „unwerten Lebens«. Aufbauend auf Voruntersuchungen Bauers – das Verfahren wurde nach dessen Tod still beendet – dokumentierte Kramer, wie 1941 alle OLG-Präsidenten und Generalstaatsanwälte dabei halfen, die massenhafte Verschleppung und den Mord behinderter Menschen juristisch abzusichern.
Die Beschäftigung mit früherem Unrecht ist für Helmut Kramer keine Frage der Vergangenheit, sondern immer auf die Gegenwart ausgerichtet. Er will jene Beliebigkeit der juristischen Methodik überwinden, die das Recht zum Instrument totalitärer Systeme werden ließ. So bemüht er sich, die Rechtsgeschichte in der juristischen Ausbildung zu verankern und die Methoden des Rechts zu historisieren. 15 Jahre lang leitet er die Sommertagungen der Deutschen Richterakademie zur NS-Justiz, gründet 1999 sein Forum Justizgeschichte. Mit seinem enzyklopädischen Wissen um Akteure, Ereignisse und Strukturen des NS-Unrechts begeistert er viele und prägt eine Juristengeneration, die sich endlich mit der Verantwortung ihrer Zunft beschäftigt.
Die Verantwortung für eine humane Zukunft lässt Helmut Kramer in den 1980er Jahren auch zum Mitstreiter der Friedensbewegung werden. 1987 beteiligt er sich an der Blockade in Mutlangen, wird wie viele andere von Richter Offenloch zu einer Geldstrafe verurteilt. Später erläutert er in einem Interview, warum ihn die Angst vor möglichen Konsequenzen nicht von der Teilnahme abhielt. Für ihn sei klar gewesen: »Wenn du dich da heraus hältst, dann hast du aus den ganzen Jahren der intensiven Beschäftigung mit der NS-Justiz und ihren Ursachen nichts gelernt.«
Zu den Lehren aus der Vergangenheit gehört für Helmut Kramer auch ein solidarisches Verständnis des Rechts. Es sind vor allem die Schwächsten der Gesellschaft, die seiner bedürfen. Mit einer Selbstanzeige und einem Verfahren bis vor das Bundesverfassungsgericht erreicht er 2008 schließlich die Aufhebung des Rechtsberatungsgesetzes. Er öffnet damit den von ihm beratenen Totalverweigerern, vielen Minderheiten und sozialen Bewegungen einen leichteren Zugang zum Recht.
Sven Lüders (aus: Mitteilungen der Humanistischen Union.
Zeitschrift für Aufklärung und Bürgerrechte, Nr. 208, Berlin 2010)
Helmut Kramer, geb. 1930, Dr. jur., Richter am Oberlandesgericht i.R., Studium der Geschichte und Rechtswissenschaft in Göttingen und Freiburg, Dissertation: »Fraktionsbindungen in den deutschen Volksvertretungen 1819–1849« (Duncker und Humblot, Berlin 1968), 1984–1989 Vertretungsprofessur an der Universität Bremen, Mitbegründer und bis 2006 Vorsitzender des Forum Justizgeschichte e.V., 1990–2005 Gestaltung und Leitung von Tagungen der Deutschen Richterakademie zur juristischen Zeitgeschichte.
Der Fritz-Bauer-Preis
Mit dem Fritz-Bauer-Preis würdigt die Humanistische Union herausragende Verdienste um die Humanisierung, Liberalisierung und Demokratisierung des Rechtswesens. Den Preis erhalten Frauen und Männer, die sich unerschrocken für eine gerechte und humane Gesellschaft eingesetzt haben, deren Zivilcourage Vorbild und Ansporn für bürgerrechtliches Engagement ist.
Der Fritz-Bauer-Preis ist die höchste Auszeichnung der Humanistischen Union. Der ideelle Preis wird im Gedenken an Dr. Fritz Bauer, den 1968 verstorbenen hessischen Generalstaatsanwalt und Mitbegründer der Humanistischen Union verliehen. Er war es, der die Verfolgung nationalsozialistischer Verbrechen ermöglichte und gegen zahlreiche Widerstände in der jungen Bundesrepublik durchsetzte. Der nach ihm benannte Preis wurde von der Humanistischen Union im Juli 1968, zwei Wochen nach dem Tod Fritz Bauers gestiftet. Er wird derzeit alle zwei Jahre vergeben.
Bisher wurde der Fritz-Bauer-Preis verliehen an:
Helga Einsele (1969), Gustav Heinemann (1970), Birgitta Wolf (1971), Emmy Diemer-Nicolaus (1972), Heinrich Hannover (1973), Helmut Ostermeyer (1975), Werner Hill (1976), Heinz-Dietrich Stark (1977), Gerald Grünwald (1978), Peggy Parnass (1980), Ulrich Vultejus (1981), Ruth Leuze (1982), Erich Küchenhoff (1983), Ulrich Finckh (1984), Rosi Wolf-Almanasreh (1985), Ossip Kurt Flechtheim (1986), Eckart Spoo (1988), Liselotte Funcke (1990), Erwin Fischer (1993), Hans Lisken (1995), Hanne und Klaus Vack (1996), Günter Grass (1997), Helga Seibert (1999), Regine Hildebrandt (2000), 28 Erstunterzeichnende des Aufrufes zur Desertion im Kosovo-Krieg (2001), Dieter Schenk (2003), Susanne von Paczensky (2004), Burkhard Hirsch (2006), Klaus Waterstradt (2008), Helmut Kramer (2010)
Kontakt
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10405 Berlin
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Fax: 030.204 502 57
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