Vor hundert Jahren, im Dezember 1925, entstand aus der Fusion der acht führenden deutschen Chemieunternehmen der IG Farben-Konzern. Am Hauptsitz Frankfurt am Main wurde für dessen Zentralverwaltung ein riesiges Bürogebäude geschaffen, entworfen von Hans Poelzig, einem Vertreter der Neuen Sachlichkeit. Die Interessengemeinschaft Farbenindustrie AG war einer der größten Chemiekonzerne Europas. Als Produzent kriegswichtiger synthetischer Ersatzstoffe kooperierte sie eng mit dem nationalsozialistischen Regime. In der Nähe des Konzentrationslagers Auschwitz entstand 1941 das konzerneigene Konzentrationslager Buna-Monowitz, wo der Chemiegigant in enger Kooperation mit der Lager-SS Häftlinge in Zwangsarbeit ausbeutete. Tausende kamen zu Tode. Die IG Farben lieferten mit dem Lager Monowitz anderen deutschen Rüstungsunternehmen das Vorbild für den Einsatz von KZ-Häftlingen in der Rüstungsindustrie. An der Radikalisierung der auf Krieg und Lebensraumeroberung ausgerichteten Politik wirkte der Konzern aktiv mit, bis hin zu seiner Beteiligung an der Raub- und Mordökonomie. Führende Manager musste sich 1947/48 in Nürnberg vor Gericht verantworten, wurden aber freigesprochen oder kamen mit kurzen Haftstrafen davon. In den 1950er Jahren erhoben überlebende Häftlinge Anklage auf Schadenersatz, Schmerzensgeld und Arbeitslohn gegen die IG Farben – und setzten sich im sogenannten Wollheim-Prozess durch, angestrengt von Norbert Wollheim, einem Überlebenden des KZ Buna-Monowitz. Für die DDR war der IG Farben-Konzern der Inbegriff des bundesdeutschen „Monopolkapitalismus“, der wiederum als Variante des Faschismus galt.
Die Geschichte des IG Farben-Konzerns spannt sich von der Weimarer Republik bis in den Kalten Krieg und reicht auch in unsere Gegenwart, denn die Abwicklung der IG Farben zog sich über 60 Jahre hin und war erst 2012 abgeschlossen.
Das Fritz Bauer Institut plant am 1. und 2. Dezember 2025 eine Konferenz, die auf der Basis der vor allem seit den 1980er Jahren betriebenen intensiven Erforschung der IG Farben nach dem Ort des Konzerns in der deutschen Geschichte fragt.
Im Lichte aktueller Fragen der Forschung zur Zeitgeschichte, speziell zur Geschichte des Nationalsozialismus und seiner Folgewirkungen, soll überlegt werden, welche neuen Fragen heute zum Thema zu stellen sind und welche thematischen Aspekte Desiderate der Forschung bilden. Dabei steht eine multiperspektivische Herangehensweise im Mittelpunkt: Neben der Konzerngeschichte, dem Thema Zwangsarbeit und weiteren politik-, wirtschafts- und sozialgeschichtlichen Aspekten geht es darum, gewissermaßen von den Rändern her auf die IG Farben zu blicken. So gibt der Poelzig-Bau – heute das Hauptgebäude der Goethe-Universität – Anlass, über Industriearchitektur und die Prämissen „des Neuen Frankfurt“ nachzudenken. Um soziologische Fragen soll es ebenfalls gehen, beispielsweise mit Blick auf die Angestelltenkultur der Weimarer Zeit. Rechtsgeschichtliche Themen drängen sich angesichts des IG Farben-Prozesses und des Wollheim-Prozesses geradezu auf. Mit seinen autobiographischen Schriften hat Primo Levi, Überlebender von Monowitz, eindrückliche literarische Zeugnisse hinterlassen. Literaturgeschichtliche Forschungen zu Levi und zur Rezeption seiner Werke sollen ebenfalls zur Sprache kommen. Auch ist die Expertise von Archivarinnen und Archivaren zum Thema IG Farben gefragt.
80 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs und angesichts der gegenwärtigen Debatten über die gesellschaftliche Verantwortung zumal der Industrie möchte das Fritz Bauer Institut die Geschichte der IG Farben erneut in den Mittelpunkt rücken. Ziel der Konferenz ist es, neue Forschungen anzustoßen. Am Fritz Bauer Institut stehen 2026 dafür zwei Forschungsstipendien der von der Bayer AG getragenen Hans und Berthold Finkelstein Stiftung zur Verfügung.
Referentinnen und Referenten sind eingeladen, neue Aspekte des Themas vorzustellen oder auf der Basis ihrer früheren Arbeiten zu skizzieren, wie sie sie im Lichte neuer Quellen und neuer Fragestellungen fortführen würden. Konferenzsprachen sind Deutsch und Englisch. Wir bitten um die kurze Skizze einer Themenidee von maximal einer Seite und um einen CV. Senden Sie die Unterlagen bitte in einer Gesamtdatei bis 17. Oktober 2025 an Prof. Dr. Sybille Steinbacher (sekretariat.steinbacher(at)fritz-bauer-institut.de).