In der Auseinandersetzung um den Nationalsozialismus in den 1950er Jahren kam der Gruppenstudie („Gruppenexperiment“) des Frankfurter Instituts für Sozialforschung (IfS) eine immense Bedeutung zu. In dieser qualitativen Studie, die zudem durch quantitative Untersuchungen konterkariert wurde, untersuchten die Remigranten am IfS, unterstützt durch Studenten und Mitarbeiter des Instituts, die kurz zuvor noch als Kriegsteilnehmer für das nationalsozialistische Deutschland gekämpft hatten, die Einstellungen der bundesdeutschen Bevölkerung in Bezug auf den Krieg, die Demokratie, die Haltung zur Autorität und zum Nationalismus, vor allem aber ihre moralischen Einstellungen und Urteile in Bezug auf die Verbrechen der Nationalsozialisten, insbesondere den Holocaust. Die Ergebnisse wurden 1955 unter dem Titel „Gruppenexperiment. Ein Studienbericht“ veröffentlicht und ausführlich kommentiert, u. a. von Theodor W. Adorno. Die Grundlage der veröffentlichten Studie bildeten die Band- bzw. Drahtspulaufzeichnungen von 121 mehrstündigen Gruppendiskussionen, deren Transkriptionen im Archiv des IfS in 20 Bänden nachzulesen sind. Dieses Material stellt – zusammen mit entsprechendem Material einer zweiten, etwas später durchgeführten Gruppenstudie des IfS über Kriegsheimkehrer – einen einzigartigen Fundus zur Mentalitätsgeschichte der frühen Bundesrepublik dar.
Die Transkriptionen bilden die Grundlage für eine vor allem mentalitätsgeschichtlich orientierte Studie zu moralischen Auffassungen in der frühen Bundesrepublik. Ziel der Untersuchung ist die Erstellung einer Monografie, die sowohl die Geschichte der beiden Forschungsprogramme erzählt und dokumentiert als auch das Material aus den Gruppendiskussionen vor dem Hintergrund des heutigen Wissens kommentiert und es zu den neueren zeitgeschichtlichen Studien über die Mentalitäts- und Geistesgeschichte der frühen Bundesrepublik in Beziehung setzt.