The Institute

Tuesday, 6. July 2010

Cinematographie des Holocaust

Dokumentation und Nachweis von filmischen Zeugnissen

Lanzmann und Murmelstein
Erinnerungsdokumente zum Ghetto Theresienstadt im Film

Jahrestagung der Arbeitsgruppe »Cinematographie des Holocaust« 2010
10. bis 12. März 2010, Frankfurt am Main


Der Filmregisseur Claude Lanzmann drehte im Rahmen der Arbeit an seinem epochalen Werk SHOAH in Rom ein langes und beeindruckendes Gespräch mit dem Wiener Gelehrten, Rabbiner und Gemeindefunktionär Benjamin Murmelstein (1905–1989). Im Zentrum stand Murmelsteins ambivalente Rolle als hochrangiger jüdischer Funktionär der von Eichmann kontrollierten Israelitischen Kultusgemeinde Wien in der NS-Zeit und als »Judenältester« des Ghettos Theresienstadt. Das Material fand keinen Eingang in SHOAH und liegt im United States Holocaust Memorial Museum ungeschnitten vor.
Auf der mehrtägigen Tagung wurden in insgesamt fünf Stunden Ausschnitte aus dem über elfstündigen Gespräch gezeigt. Die Filmausschnitte wurden ergänzt durch Referate zu einzelnen Gesichtspunkten aus den Filmen. Dies führte zu einer intensiven Auseinandersetzung mit der Rolle Murmelsteins und mit seiner Wirkung nach 1945, wie sie sich im Film niederschlägt. Darüber hinaus wurden zwei NS-Filme über Theresienstadt, Fragmente aus dem Jahr 1942 und aus dem Jahr 1944, vorgeführt. Dieses divergierende Material führte zur Frage des Films als Träger von Erinnerungsmaterial. Welche Arten von Erinnerungen wurden über die NS-Filmfragmente gepflegt, welche Funktionen hatten die jeweiligen Filme?
Die Referenten waren Doron Rabinovici (Wien), Daniel Wildmann (London), Raye Farr (Washington DC), Eva Strusková (Prag), Karel Margry (Utrecht), Hanno Loewy (Hohenems), Lisa König-Hauff (Berlin), Anna Hájková (Toronto) und Margalit Shlain (Givat Haim). Jiři Kosta und Trude Simonsohn sprachen als Zeitzeugen über ihre Erinnerungen aus dem Ghetto Theresienstadt.
Die Beiträge der Tagung werden 2011 in der Wissenschaftlichen Reihe des Fritz Bauer Instituts veröffentlicht.

Das Projekt »Cinematographie des Holocaust«
Dokumentation und Nachweis von filmischen Zeugnissen

Unter Federführung des Fritz Bauer Instituts arbeiten seit 1992 Filmarchivare, Filmhistoriker und Holocaust-Forscher gemeinsam mit CineGraph e.V., Hamburgisches Centrum für Filmforschung, dem Deutschen Filminstitut – DIF in Frankfurt am Main und dem Deutschen Filmmuseum in Frankfurt am Main an der Erschließung und Dokumentation des Zentralbestands von Filmen zur Geschichte und Wirkung des Holocaust. Im Rahmen des Projekts »Cinematographie des Holocaust« ist eine Datenbank entstanden, die Informationen zu Filmdokumenten enthält und laufend ergänzt wird.
Die in der elektronischen Bibliothek gesammelten Nachweise erschließen einen äußerst heterogenen und disparaten Materialkorpus unter thematischen Gesichtspunkten. Dies schließt auch die Verzeichnung bzw. Sicherung rezeptionsgeschichtlich bedeutsamer Quellen ein, Informationen zur Kopien- und Aufführungsgeschichte, Filmkritiken, Propagandamaterial, Stills, pädagogische Handreichungen und Zensurunterlagen. Die Daten- und Texterfassung erfolgt in einem relationalen Datenbanksystem, das Filmtitel, Personennamen, Körperschafts- und Firmennamen sowie Literaturhinweise verknüpft. Alle Daten sind in Englisch und Deutsch abzurufen. Darüber hinaus ist der genetische Prozess der kompilierenden Verwendung und Wiederverwendung von Filmaufnahmen über die Datenbank zurückzuverfolgen. Auskünfte über den technischen Zustand der Filme und deren Verschleiß sind ebenso zu erhalten wie Angaben darüber, welche Filmausschnitte in neuen Filmkompilationen wieder verwendet wurden.
Die dokumentarische Arbeit der »Cinematographie des Holocaust« wird seit ihrem Beginn durch eine Arbeitsgruppe unterstützt, die mit internationalen Tagungen einzelne Themen in intensiv erforscht und präsentiert. Schwerpunktthemen waren bisher »Antisemitische Bilder – Antisemitismus im Bild«; »Home Movies and the Jewish Experience. Am Beispiel der Filmsammlung Lisa Lewenz, New York«, »Die Vergangenheit in der Gegenwart. Konfrontationen mit dem Holocaust in den Spielfilmen der deutschen Nachkriegsgesellschaft in Ost und West«.
Dem Projekt »Cinematographie des Holocaust« kommt in der deutschen Archivlandschaft die Bedeutung zu, als eines der ersten neben schriftlichen Dokumenten auch filmisches Material der Überlieferung für wert erachtet zu haben. In Verbindung mit den internationalen Tagungen des Arbeitskreises ist die dokumentarische Arbeit in einen weiteren Forschungszusammenhang eingebunden. Die Ergebnisse der Tagungen werden in loser Folge als Publikationen des Fritz Bauer Instituts veröffentlicht.

Datenbank »Cinematographie des Holocaust« im Internet
Deutsch: www.cine-holocaust.de
English: www.cine-holocaust.de/eng
 


Back to all news