The Institute

Thursday, 25. March 2010

1. Doktorandenseminar
Neue Forschungen zu Geschichte und Wirkung des Holocaust

29. September bis 1. Oktober 2009 in der Evangelischen Akademie Arnoldshain

Unter dem Titel »Neue Forschungen zu Geschichte und Wirkung des Holocaust« fand vom 29. September bis 1. Oktober 2009 in Arnoldshain das erste interdisziplinäre Doktorandenseminar des Fritz Bauer Instituts in Kooperation mit der Evangelischen Akademie Arnoldshain statt. Jörg Osterloh (Fritz Bauer Institut) leitete die Veranstaltung gemeinsam mit Margrit Frölich (Evangelische Akademie Arnoldshain) und Susanne Heim (Institut für Zeitgeschichte, München/Berlin). Susanne Heim eröffnete das Seminar mit einem öffentlichen Abendvortrag zum Thema »Die Radikalisierung der nationalsozialistischen Judenpolitik 1938/39. Enteignung und Vertreibung am Vorabend des Zweiten Weltkriegs«, wobei sie den Zusammenhang von verschärfter Judenverfolgung und Kriegsvorbereitung des NS-Regimes betonte.

An den folgenden beiden Tagen stellten 13 Doktorandinnen und Doktoranden aus Deutschland, England und Spanien in einer geschlossenen Veranstaltung ihre geplanten beziehungsweise laufenden Arbeitsvorhaben zur Diskussion. Der erste Vortragsblock widmete sich zeithistorischen Promotionsprojekten. Janosch Steuwer (Bochum) berichtete über seine Studie über die »›Volksgemeinschaft‹ als Handlungsgemeinschaft. Zur Gesellschaftsgeschichte der Etablierung des Nationalsozialismus 1933–1939«, die unter anderem den Fragen nachgeht, wie sich die Volksgemeinschaft konstituierte. Peter Hallama (München) skizzierte seine vergleichende Arbeit über die »jüdischen Opferdiskurse in der Tschechoslowakei und in Österreich«. Barbara Hutzelmann (München) wiederum präsentierte ihre Untersuchung zum » Holocaust in der Slowakei 1938–1945«. Ihr Ziel ist es, eine Alltagsgeschichte der slowakischen Juden 1938–1945 zu verfassen, wobei sie sich auf das Schicksal von Kindern und Jugendlichen konzentriert.

Die folgenden Beiträge stellten film- und fotohistorische Untersuchungen vor. Anja Horstmann (Bielefeld) befasst sich mit »›Judenbildern fürs Archiv‹ – Die Gleichzeitigkeit von Archivierung und Vernichtung in nationalsozialistischen ›Dokumentarfilmen‹ 1942«. Sie erläuterte, dass die in den Ghettos entstandenen Filme die visuelle Grundlage für eine auf der NS-Ideologie basierende Erinnerung an das europäische Judentum dienen sollten; die Aufnahmen sollten freilich erst zum Abschluss der »Judenpolitik« Verwendung finden. Tanja Kinzel (Oldenburg) untersucht »Bilder aus nationalsozialistischen Ghettos: Die Perspektive der Fotografierenden«. Ihre Quelle ist ein Fotokonvolut von etwa 11.700 Bildern aus dem Ghetto Łódź, das sie einer qualitativen Bildanalyse unterzieht, um dessen Entstehungszusammenhänge zu rekonstruieren. Andreas Schneider (Gießen) und Michael Zok (Marburg) berichteten über ihre Forschungen zu »televisuellen Historiografien. Die Darstellung des Holocaust im west- und osteuropäischen Fernsehen, 1950er bis 1980er Jahre«. Andreas Schneider nimmt die televisuelle Gewaltdarstellung in Deutschland, den Niederlanden und in Großbritannien in den Blick. Michael Zok wiederum befasst sich vor allem mit Spielfilmen (»Blockbuster«) in Polen. Lea Wohl (Hamburg) schloss diesen Themenblock. In ihrer Dissertation geht sie der Frage »Und nach dem Holocaust? Jüdische Figuren und jüdisches Leben nach 1945 im deutschen Film und Fernsehen« nach. Sie untersucht, in welcher Weise Filme aus der Bundesrepublik und der DDR Auskunft über das deutsch-jüdische Verhältnis nach dem Holocaust geben.

Den dritten Tag der Veranstaltung eröffnete ein weiterer Block mit Vorträgen zu zeithistorischen Arbeiten. Markus Riverein (Frankfurt am Main) stellte seine biografische Studie zu Karl Wolff vor. Wolff, General der Waffen-SS, war Chef des Persönlichen Stabes des Reichsführers SS Heinrich Himmler. Nach dem Ende des »Dritten Reiches« trat er zunächst als Zeuge in verschiedenen NSG-Verfahren auf, bevor er schließlich 1962 selbst wegen Beihilfe zum Mord an 300.000 Juden angeklagt und 1964 schließlich zu 15 Jahren Haft verurteilt wurde. Frank Görlich (Berlin) präsentierte seine konzeptionellen Überlegungen zum Thema »Kolonisation und Menschenvernichtung. Das Sonderkommando R der Volksdeutschen Mittelstelle in Transnistrien und der deutsch besetzten Ukraine 1941–1944«. Ziel der systematischen Analyse des deutschen Besatzungsregimes ist es, die Zusammenhänge von Germanisierung und Holocaust in Transnistrien aufzudecken. Katharina Stengel (Frankfurt am Main/Bochum) berichtete über ihre biografische Studie zu dem Auschwitz-Überlebenden Hermann Langbein. Ihr Erkenntnisinteresse reicht aber über die Person Langbeins hinaus; sie betrachtet die Überlebenden nicht als Opfer oder Zeugen, sondern vielmehr als Akteure in der öffentlichen Auseinandersetzung mit Auschwitz.

Im letzten Themenblock standen literaturwissenschaftliche Studien im Mittelpunkt. Veronika Kövers (London) Dissertationsvorhaben trägt den Arbeitstitel »Exilierte Sprache. Verschiebungen im Werk von Jean Amery und Imre Kertesz«. Sie versteht die Werke der beiden Autoren als zwei Modelle exilierter Sprache; beide hätten die Aufgabe geschultert, eine Sprache nach Auschwitz zu schaffen. Rosa Pérez Zancas (Barcelona) befasst sich mit der »Instrumentalisierung der literarischen Tradition zum Schreiben über den Holocaust: Ruth Klüger«. Pérez Zancas analysiert Klügers Werk, indem sie die vielschichtigen Stimmen in der Binnen- und der Rahmenhandlung der Erzählung voneinander isoliert.

Die Teilnehmer diskutierten die vorgestellten Projekte in einer angenehmen, aber zugleich konzentrierten Arbeitsatmosphäre. Im Mittelpunkt standen Fragen nach der Quellenlage, dem methodischen Zugriff und dem theoretischen Hintergrund der Arbeiten. Das Doktorandenseminar soll künftig als jährliche Veranstaltung im Terminkalender des Fritz Bauer Instituts etabliert werden. Das nächste Seminar wird vom 13. bis 15. September 2010 in Arnoldshain stattfinden; die Ko-Moderation übernimmt Dr. Sybille Steinbacher, die im Sommersemester 2010 als Gastprofessorin am Fritz Bauer Institut arbeiten wird.

Vorträge
Görlich, Frank (Berlin), Kolonisation und Menschenvernichtung. Das Sonderkommando R der Volksdeutschen Mittelstelle in Transnistrien und der deutsch besetzten Ukraine 1941–1944
Hallama, Peter (München), Jüdische Opferdiskurse in der Tschechoslowakei und in Österreich
Horstmann, Anja (Bielefeld), »Judenbilder fürs Archiv« – Die Gleichzeitigkeit von Archivierung und Vernichtung in nationalsozialistischen »Dokumentarfilmen« 1942
Hutzelmann, Barbara (München), Der Holocaust in der Slowakei 1938–1945
Kinzel, Tanja (Oldenburg), Bilder aus nationalsozialistischen Ghettos: Die Perspektive der Fotografierenden
Köver, Veronika (Brüssel), Exilierte Sprache. Verschiebungen im Werk von Jean Amery und Imre Kertesz
Perez Zancas, Rosa (Barcelona), Instrumentalisierung der literarischen Tradition zum Schreiben über den Holocaust: Ruth Klüger
Riverein, Markus (Frankfurt am Main), Karl Wolff – Eine politische Biographie
Schneider, Andreas (Gießen)/Zok, Michael (Marburg), Televisuelle Historiographien. Die Darstellung des Holocaust im west- und osteuropäischen Fernsehen, 1950er bis 1980er Jahre
Stengel, Katharina (Frankfurt am Main/Bochum), Hermann Langbein
Steuwer, Janosch (Bochum), »Volksgemeinschaft« als Handlungsgemeinschaft. Zur Gesellschaftsgeschichte der Etablierung des Nationalsozialismus 1933–1939
Wohl, Lea (Hamburg), Und nach dem Holocaust? Jüdische Figuren und jüdisches Leben nach 1945 im deutschen Film und Fernsehen

... Doktorandenseminar (Überblicksseite)

Kontakt
Dr. Jörg Osterloh
Fritz Bauer Institut
Telefon: +49 (0)69.798 322-35
Telefax: +49 (0)69.798 322-41
j.osterloh(at)fritz-bauer-institut.de


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