Das Institut

Donnerstag, 23. Oktober 2014

Im Labyrinth des Schweigens

Kinotipp

Ein Film von Giulio Ricciarelli

Drama/Spielfilm, D 2014, 122 Min., FSK 12
Prädikat besonders wertvoll
Regie: Giulio Ricciarelli
Drehbuch: Elisabeth Bartel, Giulio Ricciarelli
Mit Alexander Fehling, André Szymanski, Friederike Becht, Johann von Bülow, Robert Hunger-Bühler, Hansi Jochmann, Gert Voss, Lukas Miko, Johannes Krisch, u.a.
Filmstart: 6. November 2014

Der Spielfilm hat die Vorgeschichte des Frankfurter Auschwitz-Prozesses zum Gegenstand. Historische Figuren im Film sind Fritz Bauer (gespielt vom kürzlich verstorben Burgtheater-Schauspieler Gert Voss), Hermann Langbein (Lukas Miko) und der Journalist Thomas Gnielka (André Szymanski).
Gnielka war es gewesen, der im Januar 1959 Bauer Auschwitz-Dokumente zusandte, die für den hessischen Generalstaatsanwalt die willkommene Handhabe waren, nach § 13a StPO durch den BGH den Gerichtsstand bestimmen zu lassen. Der Spielfilm endet mit dem Tag der Eröffnung der Hauptverhandlung (20. Dezember 1963) am historischen Ort, im Frankfurter Römer.
Das Fritz Bauer Institut hat in Kooperation mit OStA a. D. Gerhard Wiese die Drehbuchautoren beraten.

Deutsche Film- und Medienbewertung:
Deutschland, im Jahre 1958. Die Zeit des Wirtschaftswunders. Der Krieg ist seit über zehn Jahren vorbei und das Land will endlich vergessen, einen Schlussstrich unter alles ziehen. Die Gräuel der Nationalsozialisten sind gespenstische Horrorgeschichten, mit denen sich niemand beschäftigen will. Doch nicht alle können vergessen. Denn in Deutschland leben die Opfer weiter. Genau so wie die Täter. Als in Frankfurt ein ehemaliger Auschwitz-Insasse in einem Lehrer seinen SS-Aufseher wiedererkennt, wendet er sich an den Journalisten Thomas Gnielka. Der verlangt von der Staatsanwaltschaft eine Untersuchung. Keiner hört ihm zu – bis auf den jungen Anwalt Johann Radmann. Und Fritz Bauer, der als Generalstaatsanwalt ein Ziel verfolgt: dass die Verbrecher der Nazizeit zur Verantwortung gezogen werden. Und dass ihre Opfer Gehör finden. Im Jahr 1963 begannen unter Fritz Bauer in Frankfurt die Auschwitzprozesse. Mehrere hundert Zeugen wurden befragt, der Prozess war der bis dahin größte der Nachkriegsgeschichte.
Giulio Ricciarellis Film erzählt von seiner Vorbereitung durch die drei Anwälte, die für Fritz Bauer arbeiteten und die in der fiktiven Person Johann Radmann zusammengefasst werden, glaubwürdig verkörpert von Alexander Fehling. Doch der Film erweist nicht nur den Anklägern Respekt. Er beschreibt im Detail exakt eine Zeit, in der Verdrängen und Schweigen der Wahrheit vorgezogen wurden. Die Zeit des Wirtschaftswunders und das neu aufkeimende Selbstbewusstsein eines Landes, das als Besiegter am Boden lag, überdeckte die Notwendigkeit, sich der vergangenen Verbrechen zu stellen. Dies ist die neue Perspektive, die der Film einnimmt. Er zeigt junge Menschen, denen durch die Aussagen der Opfer die Augen geöffnet werden, die ihren unschuldigen Blick verlieren und lernen müssen, mit der Schuld ihrer Vorfahren zu leben. Ricciarelli lässt dabei die grausamen Details aus, erzählt viel über Blicke. Sequenzen, in denen Menschen still die Wahrheit erkennen, wirken dabei viel intensiver und eindrücklicher nach als es detailreiche Erläuterungen könnten. Neben Fehling überzeugen vor allem André Szymanski als mutiger Journalist Gnielka sowie Gert Voss in seiner letzten Rolle als Fritz Bauer.
Ein ruhig erzählter, klug recherchierter und immens wichtiger Film über eine Zeit in Deutschland, in der das Schweigen endete. Und die Wahrheit ans Licht kam.

Website zum Film
http://movies.universal-pictures-international-germany.de/imlabyrinthdesschweigens


Pädagogische Materialien zum Film:
IM LABYRINTH DES SCHWEIGENS
Ideen für den Unterricht in Klasse 9–12
Hrsg.: Stiftung Lesen, Mainz 2014
... Materialheft zum download (pdf-Datei, 14 S., 1.906 kb)

Fakten zum Frankfurter Auschwitz-Prozess
... Informationsblatt (pdf-Datei, 27 kb)

Zum Thema des Films ist erschienen:

Thomas Gnielka
Als Kindersoldat in Auschwitz. Die Geschichte einer Klasse
Romanfragment und Dokumentation
Hrsg. von Kerstin Gnielka und Werner Renz
Hamburg: CEP Europäische Verlagsanstalt, 2015, 184 S., € 19,90, ISBN: 978-3-86393-058-5
www.europaeische-verlagsanstalt.de/eva/details.php?p_id=624

Den Journalisten Thomas Gnielka aus dem Film IM LABYRINTH DES SCHWEIGENS gab es wirklich. Er war 15 Jahre alt, als er im Sommer 1944 mit seiner ganzen Klasse zum Kriegsdienst eingezogen wurde. Nach einer Kurzausbildung wurden diese »Kindersoldaten» nach Auschwitz-Birkenau geschickt und bewachten dort u.a. Häftlinge beim Bau von Schutzwällen für die Anlagen der IG Farben. Das Trauma Auschwitz hat ihn nie mehr losgelassen. Später trug er als Journalist mit seiner Arbeit und seinen Recherchen wesentlich mit dazu bei, dass das erste Auschwitzverfahren eröffnet werden konnte.
Die Geschichte einer Klasse ist die literarische Verarbeitung der letzten Kriegsmonate und der bestürzend authentische Bericht eines Heranwachsenden in dieser Zeit. Eine Dokumentation mit Artikeln und Recherchen von Thomas Gnielka zu den NS-Verbrechen, ergänzt um einen Text von Claudia Michels, beschließt ein Essay über die Vorgeschichte des Auschwitz-Prozesses von Norbert Frei.

Thomas Gnielka, 1928–1965, Journalist, wurde im Sommer 1944 als Schüler des Berliner Kant-Gymnasiums als Luftwaffenhelfer dienstverpflichtet. Von dem Einsatz dieser Klasse in Auschwitz handelt seine fragmentarisch gebliebene Erzählung.
Werner Renz, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Fritz Bauer Institut, zahlreiche Veröffentlichungen zum Frankfurter Auschwitz-Prozess.
Kerstin Gnielka ist eine Tochter von Thomas Gnielka. Sie arbeitet in der Sektion Literatur der Akademie der Künste in Berlin.

Im Labyrinth des Schweigens

Regie: Giulio Ricciarelli


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