Sonntag, 25. April 2021, Online-Symposium
Kammerspiele des Schauspiels Frankfurt
Im Oktober 1985 besetzten Jüdinnen und Juden die Große Bühne des Schauspiels Frankfurt, um die Premiere der Uraufführung von Rainer Werner Fassbinders Stück »Der Müll, die Stadt und der Tod« zu verhindern. Die Bühnenbesetzung und die Blockade der Aufführung stellten eine Form der Selbstermächtigung dar, mit der sich die jüdische Gemeinschaft in der Bundesrepublik erstmals öffentlich Gehör verschaffte. Vierzig Jahre nach Kriegsende drang damit eine Erfahrung in den gesellschaftlichen Diskurs vor, die später als »Opferperspektive« bezeichnet wurde.
Im Rahmen eines Symposiums nahmen Zeitzeuginnen und Zeitzeugen, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sowie Künstlerinnen und Künstler eine Neubewertung dieses historischen Aktes zivilen Ungehorsams aus heutiger Perspektive vor. Das ursprünglich als zweitägige Präsenzveranstaltung geplante Symposium fand pandemiebedingt als eintägige Online-Veranstaltung statt und wurde live aus dem Schauspiel Frankfurt übertragen. Der eindrückliche Essay »Der Schock ist fruchtbar noch – ein Skandal, mit dem wir nicht fertig sind. Frankfurt und die Fassbinder-Affäre 1985«, den Benjamin Korn 1988 verfasste, eröffnete die Veranstaltung. Gezeigt wurde eine Lesung des Textes von Benjamin Korn und Michael Weber aus dem Jahr 2020.
Drei Vorträge von Dr. Tobias Freimüller, Michael Lenarz und Wanja Hargens behandelten die jüdische Nachkriegsgeschichte Frankfurts und den Entstehungskontext des Theaterstücks »Der Müll, die Stadt und der Tod«. Anschließend diskutierten Hermann Alter, Marina Czernivsky, Prof. Dr. Dr. Michel Friedman und Dr. Lea Wohl von Haselberg, moderiert von Prof. Dr. Mirjam Wenzel, »Die Bühnenbesetzung und ihre Tragweite«.
Studierende der Theater-, Film- und Medienwissenschaft sowie der Dramaturgie an der Goethe-Universität präsentierten Ausschnitte aus ihren Arbeiten, die im Rahmen des szenischen Projekts »Bühnenbesetzungen« entstanden sind. In einer abschließenden Gesprächsrunde beschäftigten sich Hakan Savaş Mican, Helmut Schäfer und Rieke Süßkow mit dem Thema »Fassbindertheater nach dem Fassbinder-Skandal«.
Eine Kooperation von Schauspiel Frankfurt, Jüdischem Museum Frankfurt, Fritz Bauer Institut und der Theaterwissenschaft der Goethe-Universität Frankfurt am Main.
Die Veranstaltung wurde ermöglicht durch den Kulturfonds Frankfurt RheinMain und unterstützt von der Hessischen Theaterakademie.